Obwohl das bewegende Buch von Nancy L. Eiesland in Amerika schon 1994 erschien, kommt es jetzt auf Deutsch nicht zu spät. Denn das vorherrschende Verständnis von Menschsein definiert sich immer noch einseitig bloß über Gesundheit, Fitness und Fortschritt. Mit einer unheilbaren Knochenkrankheit geboren und schließlich ganz an den Rollstuhl gebunden, wird die im Geist pfingstlerischen Christentums geprägte Nancy Eiesland (1962–2009) schließlich zur evangelikal-lutherischen Pfarrerin und Professorin für Religionssoziologie. Das Fazit ihres Wirkens lautet: „Es ist meine Behinderung, die mich gelehrt hat, wer ich bin und wer Gott ist.“
Naturgemäß steht der Umgang mit dem Körper im Mittelpunkt dieser Theologie, die Inkarnation Gottes im behinderten Leib. Die Orientierung nicht nur am verwundeten, sondern am behinderten Christus führt ins Zentrum dieser Spiritualität – befreiend für den einzelnen Menschen mit Beeinträchtigung, befreiend zum Ganzen im Fragment des eigenen Lebens und befreiend von allen Formen gesellschaftlicher Stigmatisierung und bloß mitleidsvoll herablassender Theologie. Nicht zufällig widmet sich das letzte der sieben Kapitel der Eucharistie beziehungsweise dem Abendmahl: Gerade im gebrochenen Brot und im vergossenen Wein wird das Geheimnis dessen zugänglich, der in den Brüchen und Fragmenten des eingeschränkten Lebens als der lebendige Gott begegnet und heilend präsent ist. „Ich erkannte den inkarnierten Christus im Bild jener, die als ‚nicht tragfähig‘, als ‚arbeitsunfähig‘, als ‚mit fragwürdiger Lebensqualität‘ behaftet beurteilt werden. Hier war Gott für mich.“
Dieses inspirierende Buch mischt gängige Vorverständnisse vom „normalen“ Leben kräftig auf und kann auch kirchliche wie theologische Redeweisen von „dem“ Menschen schöpferisch irritieren – ganz so wie es beispielsweise auch die „Arche“-Bewegung von Jean Vanier tut, wo behinderte und nichtbehinderte Menschen zusammenleben. Die besondere Kraft des Evangeliums stellt sich all den „unheilbar Gesunden“ in den Weg!