Ukrainisch-orthodoxe Nationalkirche„Vereinigt“ zur Spaltung: Das orthodoxe Trauerspiel

Ein nicht nur kirchlich schwerer Konflkt: in der Ukraine hat sich eine Nationalkirche von Moskau getrennt.

Bei einem sogenannten Vereinigungskonzil, das aber kein Vereinigungskonzil war, weil es die gut neunzig ukrainischen Bischöfe des Moskauer Patriarchats – bis auf zwei – boykottierten, ist in der Ukraine eine eigenständige ukrainisch-orthodoxe Nationalkirche gegründet worden. Bei der Kirchenversammlung wählten mehr als hundert Bischöfe, zwei Priester und zwei Laien den bisherigen Bischof von Perejaslaw, Epifanij Dumenko, zum Metropoliten von Kiew und der ganzen Ukraine.

Faktisch ist er damit der Primas der neuen Kirche, die sich nunmehr definitiv von Moskau abgetrennt und mit einer bereits 1920/1921 von Moskau losgelösten kleineren ukrainischen autokephalen orthodoxen Kirche vereinigt hat. Letztere hat – aufgrund der politischen bolschewistischen Wirren der damaligen Zeit – eine sehr komplexe Geschichte von Gründung, Auflösung und Wiederbegründung. Sie existierte in späteren Sowjetzeiten fast nur im Exil. Der jetzige Primas der „vereinigten“ Kirche wird voraussichtlich das Amt des bisher von der Weltorthodoxie ebenfalls nicht anerkannten Kiewer Patriarchen Filaret Denyssenko übernehmen, der 1995 – nach Moskauer Lesart unrechtmäßig – zum kirchlichen Oberhaupt gewählt worden war.

Am Podium der Kirchenversammlung saß neben Filaret und dem von Konstantinopel zur Leitung des „Konzils“ entsandten Pariser Metropoliten Emmanuel auch der ukrainische Staatspräsident Petro Poroschenko. Er verkündete nach dem Akt frohlockend-pathetisch: „Wir durchschneiden die Ketten, die uns an das Reich banden.“ Und: „Die vereinte und unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche ist eine Kirche ohne Putin, eine Kirche ohne Kyrill.“

Aus dem Moskauer Patriarchat wiederum kam als Kommentar: „Die unkanonische Versammlung von Personen, von denen einige die Bischofsweihe haben und die meisten nicht, hat unter der Leitung eines Laien – des Staatspräsidenten – und eines Ausländers, der nichts in der örtlichen Sprache versteht (Metropolit Emmanuel; d. Red.), einen nichtkanonischen ‚Hierarchen‘ zu einem ebenso nichtkanonischen ‚Primas‘ gewählt. Für uns bedeutet dieses Ereignis absolut nichts.“

Laut einem in Moskau veröffentlichten Schreiben hat der Moskauer Patriarch Kyrill I. Papst Franziskus, Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron um Hilfe und Vermittlung für den Schutz der weiterhin zu Moskau gehörenden Gläubigen, insbesondere Geistlichen, in der Ukraine gebeten. Befürchtet wird die Beschlagnahmung von Gotteshäusern und sonstigen kirchlichen Einrichtungen durch die neue Kirche.

Voraussichtlich zum orthodoxen Weihnachtsfest wird der neugewählte Primas am 6. Januar mit dem politischen Oberhaupt der Ukraine nach Konstantinopel reisen, um dort die endgültige Bestätigung als autokephale – eigenständige – ukrainisch-orthodoxe Kirche durch eine Bulle, ein Dekret, Tomos genannt, aus der Hand des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. zu erhalten.

Schon seit langem wird darauf verwiesen, dass der Kirchenstreit, der infolge der Unabhängigkeit der Ukraine seit der Auflösung der Sowjetunion und vor allem seit der russischen Besetzung der Krim und der kriegerischen Intervention in der Donezk-Donbass-Region stetig an Schärfe gewonnen hat, schwersten Schaden in der gesamtorthodoxen Kirchenlandschaft anrichten wird. Wegen der ukrainischen Kirchenabspaltung hat die russische orthodoxe Kirche bereits mit Konstantinopel gebrochen. Die politischen Verwicklungen, die sich mit kirchenpolitischen Machtspielen überlagern, sind ein Armutszeugnis für die Christenheit insgesamt. Wieder einmal zeigt sich, dass es am Ende doch einzig um Herrschaft und kanonischen Territorialbesitz geht – und wenig darum, den gemeinsamen Christusglauben in gemeinsamer Verantwortung der Welt zu verkünden und vor deren Augen geschwisterlich zu leben.

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