Religionen sind, gemessen an öffentlich propagierten Meinungen, an fast allem schuld: an Gewalt, an Krieg, an Terror, am Imperialismus, am Kolonialismus, an der Unterdrückung der Sexualität ebenso wie an sexuellem Missbrauch, am Patriarchalismus, am Kapitalismusund so fort.
Neuerdings scheint das Christentum sogar die Wurzel des Übels Schlankheitswahn zu sein, jedenfalls eine bestimmte Spielart dieser Glaubensüberlieferung. Das legt der Ernährungspsychologe Johann Christoph Klotter nahe. Vor allem der Protestantismus sei dafür verantwortlich, dass die Askese zu einer Tugend und der Genuss zur Sünde erklärt wurde. „Heute, wo Religionsgemeinschaften nicht mehr so en vogue sind, hat sich auf diesem Nährboden eine Bewegung gebildet, die radikale Askese als Tugend versteht. Schlankheitswahn als säkularisierte Fortsetzung der protestantischen Idee“, so Klotter in der „Welt am Sonntag“.
Ihre Anhänger verträten „im Grund auch nur die moralisch-religiöse Lehre von der Mäßigung“, würden sich jedoch nicht auf den Glauben, sondern auf empirisch-wissenschaftliche Studien berufen. Dabei sind derartige Untersuchungen zur Ernährung laut Klotter „durch ideologische Ansichten der Forscher beeinflusst“. Viele Menschen misstrauten der Lebensmittelindustrie und hätten „ein Bild von der vermeintlich guten Natur im Kopf“. Diese habe es aber nie gegeben. Tatsächlich sei den Errungenschaften der Lebensmittelindustrie „überhaupt erst unser gutes Überleben“ zu verdanken.