MonotheismusUnaussprechlich heilig

Mit der Offenbarung JHWHs im brennenden Dornbusch hat die Religions- und Geistesgeschichte der Menschheit einen einzigartigen Entwicklungsschub bekommen.

Jod, He, Waw, He, JHWH – wie spricht man Jahwe aus? Sagt man Jach-weh wie Ach und Weh oder Jah wie Aah? Oder sagt man gar nichts, wie das Volk Israel, das den Gottesnamen nicht in den Mund nimmt? Immerhin hält Israel das Patent auf das sogenannte Tetragramm, die vier Buchstaben JHWH. Aber es enthält sich. So hält es sie heilig. Aus Ehrfurcht kommen sie ihm nicht über die Lippen. Wo JHWH in der Tora, dem heiligen Text, erscheint, spricht der Fromme einen Ersatz, zum Beispiel Adonaj (Mein Herr) oder Ha-schem (Der Name). Diese Ehrfurcht ist vollkommen berechtigt, denn der „Name“ ist einzigartig im strengen Sinn.

Nach dem Durchbruch des Monotheismus im Babylonischen Exil erzählt Israel die Geschichte vom „Namen“ neu. Da brennt ein Dornbusch, doch er verbrennt nicht. Da muss Mose die Sandalen ausziehen, „denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden“. Durch eine Unmöglichkeit katapultiert die Erzählung die Szene heraus aus den Koordinaten der Normalität. Aus dem zeitlosen Feuer ertönt dann eine Stimme. Sie gibt ihm den Auftrag, sein Volk aus dem Sklavenhaus Ägypten herauszuführen.

Der „Name“ des Einzigen

Das alles kann als ein Vorspiel zu der Frage gelesen werden, die Mose am Ende stellt, umständlich, so, als ob er wüsste, dass sie sich eigentlich nicht gehört. Jakob, der Stammvater, hatte sie schon einmal gestellt, als er mit einem Unbekannten eine gespenstische Nacht lang kämpfte: „Nenne mir doch deinen Namen!“ Ihm wurde die Frage damals verwiesen: „Was fragst du mich nach meinem Namen?“ Und eigentlich musste Mose doch schon wissen, mit wem er es zu tun hatte, denn die Stimme aus der gesprengten Wirklichkeit des Dornbuschs hatte sich ja schon zu erkennen gegeben: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs.“ Mose aber will partout einen Namen hören, und so legt er die Frage den Israeliten in den zukünftigen Mund: „Gut, ich werde also zu den Israeliten kommen und ihnen sagen: Der Gott eurer Väter hat mich gesandt. Da werden sie mich fragen: Wie heißt er? Was soll ich ihnen darauf sagen?“

Was nun folgt, löst unter den Übersetzern immer noch Diskussionen aus. Die Septuaginta, die anerkannte griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel, formuliert: Egó eimí ho ōn – „Ich bin der Seiende.“ Das lehnen viele Theologen ab. Sie sehen in dem „Seienden“ einen allzu zeitlosen Hellenismus. Im letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes, ebenfalls auf Griechisch verfasst, heißt es: „Ich bin, der war, der ist und der Kommende.“ Ganz ähnlich gewinnt das gerade entstehende rabbinische Judentum aus der Grammatik eine offene, auf kein bestimmtes Tempus festgelegte Bedeutung: Der „Name“ wird vom Verbum hjh abgeleitet, als Vergangenheit im Perfekt hajah – „er war“; als Gegenwart hojeh – „er ist“ (Partizip); und jijeh – „er wird sein“. Martin Buber und Franz Rosenzweig übersetzen: „Ich werde da sein als der, der ich da sein werde.“ In der neuen Einheitsübersetzung heißt es: „Ich bin der ‚ich bin‘.“

Die eigentliche Pointe steht aber noch aus, denn diese Formulierung könnte man bis hierher mit dem Alttestamentler Ludwig Köhler auch als Namensverweigerung lesen: „Ich bin der ich bin – ich heiße wie ich heiße.“ Aber dann wird diese Formulierung als „Name“ verkündet: „So sag zu den Israeliten: JHWH, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für immer und so wird man mich nennen in allen Generationen“ (Ex 3,15). Erst diese Ausrufung des puren Daseins als „Name“ macht den Einzigen zum Einzigen. Erst sie erzeugt eine sprachlogische Singularität. In Israel wurde diese Pointe von Anfang an begriffen. Der „Name“ ist sein Allerheiligstes. Ihm baut Salomon den ersten Tempel, ihn bewacht eines der Zehn Gebote.

Das Experiment des Jungen Sartre

In der Sprachlogik unterscheidet man den Umfang eines Begriffs, seine Extension, von seinem Inhalt, der Intension. Im üblichen Sprachgebrauch ist das Verhältnis von Intension und Extension so, wie wir es aus der Definitionspraxis kennen. Ein X wird dadurch immer genauer bestimmt, dass wir es mehr und mehr eingrenzen. Etwa so: Materie, Lebewesen, Warmblüter, Säuger, Mensch, Mann, Athener, Sokrates. Je mehr der Begriffsumfang, die Extension, abnimmt, desto mehr nimmt die inhaltliche Bestimmtheit, seine Intension, zu. Am Ende hat das X einen Namen und ist mit „Sokrates“ genau bestimmt.

Was aber geschieht, wenn, wie im Fall von JHWH, das reine Da-Sein zum „Namen“ ausgerufen wird? Dann ist JHWH nirgendwo nicht da, nirgendwo nicht und nie nicht, „in allen Generationen“. Das ist nichts anderes als die maximale Extension. Die Konsequenz ist spektakulär, weil singulär. Denn dass die Extension in Intension umschlägt, ist radikal einzig. Einen Zusammenfall von Intension und Extension kann es prinzipiell nur einmal geben. Die größtmögliche Erstreckung hat plötzlich einen „Namen“.

Die Folgen kann man nicht übertreiben. Eine solche Art von Dasein kann nur eine Wirklichkeit meinen, die einerseits ihrem Wortsinn genau entspricht, weil sie wirksam ist: Alle, die dem einzigartigen „Namen“ begegnen, haben es fortan mit einer Instanz zu tun, die ihre Sicht auf die Welt verändert. Eine Welt, die ein Gegenüber, gar einen Schöpfer hat, ist plötzlich eine andere geworden. Andererseits unterscheidet sie sich radikal von allen vorzeigbaren empirischen Einzelerscheinungen, auf die man mit dem Finger zeigen und denen man das „Es gibt“ zusprechen kann. Das genau ist der Sinn von Bonhoeffers paradox funkelndem Satz: „Einen Gott, den es gibt, den gibt es nicht.“

Der Großvater des kleinen Jean-Paul Sartre, ein Cousin von Albert Schweitzer, spottete gern über Gott und die Religion. Maman aber schickte den Jungen in die Katechese des Abbé Dubildos. Der behauptete, Gott sei zwar unsichtbar, sehe aber alles, und er bestrafe die Bösen und belohne die Guten. Wer hatte recht? Das wollte Jean-Paul nun im Experiment klären. Also brannte er mit einem Brennglas ein Loch in den Teppich. Unzweifelhaft böse! Doch nichts geschah. Jean Paul legte nach und bewarf Gott mit den heftigsten Schimpfwörtern – Nichts! „Ich wäre mit einem fernen Donnergrollen oder einem leisen Zittern des Kronleuchters zufrieden gewesen. – Von diesem Tag an war ich Atheist.“

Seit von ihm die Rede ist, war der Sonderfall einer nicht empirischen Wirklichkeit mit der Erwartung konfrontiert, sich empirisch besichtigen zu lassen. „Grüß Gott!“, heißt es im Süden. „Wenn du ihn siehst“, witzelt der Berliner. Doch „Niemand hat Gott je gesehen“, heißt es am Ende der Vorrede des Johannesevangeliums (1,18).

Für Israel ist sein Gott kein Teil der Welt, sondern der Hintergrund des Kosmos, sein Schöpfer, das positive Vorzeichen vor der Klammer, die die Welt bedeutet. Diese Wirklichkeit der Wirklichkeiten ist der ontologische Sonderfall, eine Seinsweise der Extraklasse. Im Tetragramm waren Intension und Extension zusammengefallen. Dieser ersten Koinzidenz entspricht eine zweite, der Zusammenfall von Logik und Ontologie, von Form und Inhalt. Das verschärft den singulären Charakter JHWHs, des einen und einzigen Gottes und seines „Namens“.

Der Monotheismus liegt am Ende der Bronzezeit in der Luft. Schon für den Pharao Echnaton (ca. 1340–1324 v. Chr.) war der Strahlenaton, die Sonne, die Summe alles Göttlichen. Sie war zwar die spektakulärste Singularität seiner Welt, blieb aber ein Teil des Kosmos.

Jesus „zerschreibt“ die Schrift

Erst in Israel kam die große Emergenz der Religionsgeschichte zum Durchbruch, bildete sich eine neue, höhere Qualität des Religiösen heraus. Sie besteht darin, dass der Kosmos in dem einen und einzigen Gott erstmals ein Gegenüber hat. JHWH ist eben kein Teil der Welt, sondern ihr Schöpfer. Im ersten Schöpfungsbericht der Bibel hat er die Sonne und den Mond als Lampen ans Firmament geheftet.

Mit dem Religionswissenschaftler Theo Sundermann bezeichnet Jan Assmann den biblischen Monotheismus als Sekundärreligion. Das kann man so sehen. Im Babylonischen Exil war die deportierte judäische Elite mit den dortigen sogenannten Mundwaschungsritualen konfrontiert. Die Hersteller der göttlichen Kultbilder mussten vor dem Volk abstreiten, dass sie mit ihnen etwas zu tun hatten, Priester luden die Bilder dann mit himmlischer Spiritualität auf. Diese Götter „von Menschenhand“ provozierten die polemische Kritik des Propheten (Deutero-)Jesaja, der im Exil zwischen 550 und 539 v. Chr. auftrat. Auch der vorsokratische Philosoph Xenophanes (570–470 v. Chr.), sein Zeitgenosse, entlarvte das Prinzip Passung, dem zufolge sich die Menschen die Götterbilder nach ihrer eigenen Gestalt formten. Wer seine Vernunft gebrauchte, dem hatte sich der Polytheismus verdächtig gemacht. Zu jedem menschlichen Interesse passte eine himmlische Adresse. Aber der Monotheismus konnte sich erst durchsetzen, als er eine mediale Alternative nutzte, die das Selbermachen von Göttern verhinderte. Dieses Medium war die vergleichsweise junge alphabetische Schrift. Man kann den Monotheismus und seine Entstehung besser verstehen, wenn man seine Mediengeschichte kennt.

Gegenüber dem Kultbild hatte die Kultschrift einen entscheidenden Vorteil. Niemals konnte sie mit dem verwechselt werden, was sie bezeichnete. So kommt es zu einem entscheidenden Wechsel der Gottesmedien. Während die großen Augen eines Kultbilds seinem Betrachter eine göttliche Präsenz suggerieren, die als Fiktion durchschaubar ist, können Wörter, die in der Schrift zum Objekt geworden sind, etwas ins Bewusstsein rufen, das sich gleichzeitig den Sinnen entzieht. Die Schrift wurde so zum Königsmedium des jungen Monotheismus. An die Stelle der Kultbilder trat die Schrift als Ort göttlicher Präsenz. Auch sie wurde kultisch verehrt. Grapholatrie statt Idolatrie. In ihr, zumal in den vier Buchstaben, war jene einzige und andere Wirklichkeit anwesend und abwesend zugleich. Der neue Gott Israels ist unsichtbar, aber präsent in seinem „Namen“.

„Geheiligt werde dein Name“: In der ersten Bitte des Vaterunser bekennt sich Jesus als der fromme Israelit, der er zweifellos war. Mit den „Grammateis“, denen, die am Buchstaben kleben, lag er allerdings in einem prinzipiellen Dauerstreit. Jesus hält zwar die Tora in Ehren; wenn es aber darum geht, den Willen seines himmlischen Vaters zu ermitteln, reicht sie ihm nicht aus. „Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5, 18).

Die Schrift ist das Schicksal des Monotheismus. Ohne sie gäbe es ihn nicht. Nur durch eine Kultschrift konnten die Kultbilder des Polytheismus ersetzt werden. Sie ist ein Medium der Vorenthaltung, das Abstand hält zu dem, was es bedeutet. Gefährlich wird es, wenn die Schriftbesitzer diese Differenz unterschlagen und sich im Besitz der göttlichen Wahrheit wähnen, für deren Durchsetzung ihnen jedes Mittel recht ist. Dann kann der Monotheismus entarten und toxisch werden.

Im Neuen Testament wird daher ein zweiter Medienwechsel propagiert. Dort erscheint Jesus als derjenige, der die Schrift ständig alt aussehen lässt. Sechsmal hintereinander ruft er in der Bergpredigt Vorschriften auf, um sie mit einem „Ich aber sage euch“ zu überbieten. Die Schriftgelehrten konfrontieren Jesus mit einer ertappten Ehebrecherin: „Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?“ Die Antwort besteht zunächst in einer stummen Demonstration. „Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.“ Einst hatte der Finger Gottes auf steinerne Gesetzestafeln geschrieben. Nun schreibt der Finger Jesu in den Staub. Mit dem Satz „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie“ rettet er die Frau. Dann bückt er sich wieder und schreibt mit dem Finger auf die Erde. Er „zerschreibt“ die Schrift (Joh, 8,6). Vielleicht kannte Paulus diese Geschichte, als er steil formulierte: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor 3,6).

Der neue Medienwechsel wird deswegen nötig, weil die Gerinnung und Aushärtung des gesprochenen Wortes in der Schrift als Gefahr erkannt werden. Darum muss sie, wenn nötig, überboten werden. Nicht in einem toten Buchstaben soll der Geist gefangen bleiben; der Mensch selber kann zum Gottesmedium werden. Jesus, der „Sohn Gottes“, zeigt, wie es geht, und empfiehlt es zur Nachahmung. „Allen … gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben“, heißt es im Prolog des Johannesevangeliums (1,12). Dort ist auch die Überbietung der Schrift genial auf den Punkt gebracht. Diesmal wird das Wort nicht Schrift, sondern „Fleisch“. Verbum caro factum est – Inkarnation. „Das Wort ist Fleisch geworden.“ Nicht erst Goethe hat den großen Anfang dieses Prologs begrübelt. Das Wort, das „im Anfang“ war, sprengt schon unseren Zeitkäfig: Dieser Anfang kennt kein Vorher. Sodann war das Wort „bei Gott“ und wird schließlich mit ihm identisch. Dass Johannes das im Menschenfleisch angekommene Wort in die Singularität des Einzigen hineinzieht, bringt alle Nichtchristen zum Kopfschütteln. Für die Christen dagegen ist es eine richtig gute Nachricht.

Vom Autor erscheint jetzt das Buch „Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus“ (Verlag Herder, 331 S., 34 €). Der vorstehende Beitrag nimmt insbesondere auf das fünfte Kapitel Bezug.

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