In diesem Jahr bestehen die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit seit siebzig Jahren. Deren Wirken für Verständigung gehört zum Segensreichsten der Nachkriegszeit. Die auch jetzt wieder im März veranstaltete „Woche der Brüderlichkeit“ mit der Verleihung der Buber-Rosenzweig-Medaille legt den Schluss nahe, dass es nach den jahrhundertelangen furchtbaren, in der Schoah gipfelnden Judenverfolgungen, bei denen sich viele Täter als Christen verstanden, zu einem versöhnlichen Verhältnis zwischen beiden Religionen gekommen sei. Doch gerade in neuerer Zeit scheinen wieder gewisse Irritationen die Beziehungen zu trüben (vgl. CIG Nr. 49/2018 und Nr. 4/2019). Auch ist ein verbreiteter Verlust an Kenntnissen religiöser, insbesondere christlicher Grundlagen zu beklagen. Die neu entflammte Kontroverse, ob die Kirche Israel als auserwähltes Gottesvolk abgelöst habe, gehört in diesen Zusammenhang. Und: Ist unter rein historischen Gesichtspunkten die Rede vom „christlich-jüdischen Abendland“ verfehlt, nicht mehr als ein Mythos?
Dieser Ansicht ist unter anderem der Potsdamer Rabbiner und Theologe Walter Homolka. In einem zusammen mit dem Freiburger Theologen Magnus Striet verfassten Buch über das Vereinende, aber auch Trennende der beiden Glaubensweisen räumt Homolka ein, dass jüdische Gelehrte aufgrund geschichtlicher Erfahrungen über Jahrhunderte Christus ebenfalls als Feindbild betrachteten. Erst seit dem Jahrhundert der Aufklärung entdeckten einzelne Bibelforscher in Jesus einen jüdischen Gefährten im Glauben. Freilich: Der historische Jesus ist nicht identisch mit dem von Christen verkündeten Sohn Gottes und Erlöser. Die Christologie trennt Judentum und Christentum.
Magnus Striet weicht in seinem Buchbeitrag diesem Problem nicht aus. Er sieht jedoch weniger in der Christologie, im Christusverständnis, als in der Soteriologie, der Erlösungslehre, die in hellenistischem Denken wurzelt, ein großes Hindernis für die Verständigung mit dem Judentum. Ein Hindernis allerdings ebenso für die Akzeptanz des christlichen Glaubens heute. Zwei theologische Theorien stellt Striet infrage: die Erbsündenlehre des Augustinus und die Vorstellung des Kreuzestodes als Sühneleistung. Striet setzt dagegen wieder beim historischen, also jüdischen Jesus und bei dessen „ethischem Monotheismus“ an.
Nicht eine Sühnetod-Theorie, die zu einem kaum noch plausiblen Gottesbild führt, kann religiös Suchenden im 21. Jahrhundert den Weg zum Glauben ebnen, vielleicht aber die Hoffnung auf die Solidarität Gottes mit den Leidenden. Ein höchst lesenswertes Buch, das nach theologischem Weiterdenken verlangt.