Jesus von Nazaret unterscheidet sich von allen „Stiftern“ großer und kleiner Religionen dadurch, dass er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 19). Er taucht als eine Person, als ein Individuum auf. Er stiftet nicht, er gründet nicht, er ist. In seiner Person fällt die trennende, rein denkerische Unterscheidung von Leben und Lehre in sich zusammen. Sein Leben ist die Lehre. Seine Lehre ist das Leben.
Das rief und ruft immer wieder Staunen, Verwunderung und skandalösen Ärger hervor. Manche Religionsfunktionäre reagieren auch heute noch allergisch darauf. Aber die Jesusdompteusen und -dompteure haben keine Chance. Jesus fährt ihnen in die Parade. Die Menschen, die nach Leben und nicht nach Lehre verlangen, sagen die Wahrheit: „Seht, welch ein Mensch!“
Jesus war, ist und bleibt ein Mensch für Menschen. Anders kann man ihn nicht begreifen. Und schon gar nicht kann man ihn ohne diese Tatsache als Gott verstehen. Letztlich bleibt alles, was mit Jesus zusammenhängt, ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das Menschen immer wieder dazu drängt, einem geheimnisvollen Ruf durch die Tat zu folgen. Manchmal mehr schlecht als recht. Man kann darüber lange diskutieren. Es hilft nichts. Das Erste und das Letzte, das A und das O, stehen auf dem Spiel. Es geht in der Nachfolge Jesu um eine Entscheidung, die eine grundlegende Veränderung des Lebens zur Folge hat, die nichts mehr beim Alten lassen kann. Sie macht alles neu. Sie ist eine Provokation.
Michael Albus in: „Ins Offene gehen“ (Patmos Verlag, Ostfildern 2019)