Fasten ist zu einem Trend geworden. Warum sich heute so viele, zunehmend auch nichtreligiöse Menschen von diesem Phänomen angesprochen fühlen, hat unterschiedliche Gründe. Ein gewichtiger Beweggrund ist für viele sicherlich, dass es im Trend liegt. Ein pures „Lifestylefasten“ also? Wer speziell aus religiösen Gründen fastet, ist womöglich versucht, die aktuelle Entwicklung kritisch zu betrachten: Jetzt verkommt selbst noch das Fasten zum marktkompatiblen Konsumgut. Doch dass Fasten zum Trend geworden ist, kann auch als Hoffnungszeichen für die Zukunft der Welt verstanden werden.
Denn wenn der Lebensstil vieler Menschen achtsamer wird, verlangt das zuallererst eine entsprechend positive Wertschätzung. Immer mehr Menschen beginnen zu merken: „Es kann nicht immerfort so weitergehen, wie es gerade geht!“ Es entwickelt sich langsam ein breiteres Bewusstsein dafür, dass es mit dem Grundsatz „Immer weiter, immer größer, immer mehr“ nicht mehr lange gut gehen kann. Vor allem bei der ganz jungen Generation ist diese Haltung zu beobachten. Es handelt sich um jene Generation, die mit den zerstörerischen Folgen unseres Tuns bereits aufwächst und sie nicht mehr in eine ferne Zukunft schieben kann. Das „Weniger ist mehr“ beginnt sich möglicherweise (noch rechtzeitig?) in der Breite durchzusetzen. Dieses wachsende Bewusstsein ist Ausdruck eines Glaubens an das Leben-Sollen und Leben-Können aller.
Wer keine Not leidet, aber bewusst verzichtet, weiß um die Kostbarkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens. Verzichtende nehmen ernst, dass sie nicht allein auf der Welt sind und dass das eigene Leben in vielem und oft ganz unbemerkt auf Kosten anderer geht. Aber der Verzicht ist nicht nur das Ergebnis einer Einsicht in ganz wesentliche Bedingungen unserer Existenz. Er ist zugleich auch ein Weg, unseren Blick auf die komplexen Zusammenhänge und Beziehungskonstellationen unseres Lebens zu schärfen. Die amerikanische Theologin Sallie McFague hat vor einigen Jahren in einem Buch die provokative Kapitelüberschrift gewählt: „It’s not about you!“ („Es geht nicht um dich!“) Gemeint ist: Es geht niemals nur um dich, isoliert von anderen. Sondern wenn es um dich geht, geht es gleichzeitig immer auch um alle anderen. Es geht immer um das Leben-Können von allen. Leben gedeiht, wo es geteilt wird – mit allen Geschöpfen. Wo diese Einsicht wächst, wo Fasten so gesehen zum Trend wird, dort scheint aus diesem Grund ein Hoffnungszeichen auf für die Welt.
Im Benediktinerorden gibt es die Tugend des Maßes (lateinisch: discretio). Wer „diskret“ ist, kann unterscheiden zwischen Zuviel und Zuwenig. Für die mittelalterliche benediktinische Äbtissin Hildegard von Bingen wurde discretio zur Grundtugend. Das Leben ist stets durch Extreme bedroht. Die Grundtugend des Maßes ist angesichts dieser Extreme notwendig, um das rechte Gleichgewicht zu finden, welches unser und anderes Leben fördert und gelingen lässt. Discretio hilft, die eigenen Bedürfnisse möglichst nur so weit zu erfüllen, dass dadurch anderen kein Schaden entsteht. Die Fastenzeit kann helfen, in eine solche Grundhaltung hineinzuführen und sich neu am Gott des Lebens, der das Leben aller will, auszurichten.
Christinnen und Christen können in der Fastenzeit darüber hinaus Zeichen setzen dafür, dass die Welt mit ihrem ganzen Reichtum nicht unser Eigentum, sondern Gabe des Schöpfers ist: indem sie sich dessen enthalten, was ihnen und anderen nicht guttut; indem sie Besitz teilen, anstatt zu horten; indem sie das Auto stehen lassen und irgendwann merken, dass sie es vielleicht gar nicht so oft brauchen; indem sie auf Fleisch verzichten, vielleicht auch über die Fastenzeit hinaus; indem sie ihre Urlaubsplanung noch einmal überdenken; indem sie mutig danach fragen, was Leben verhindert und kleinhält.