Arbeiterbewegung und SoziallehreFür eine Kultur der Solidarität

Die große Idee der Solidarität, wie sie die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts und die christliche Soziallehre als Grundprinzip des Zusammenlebens einfordert, sollte auch die heutigen Gesellschaften neu beleben. Dazu ermuntert der Soziologe Heinz Bude in der „Süddeutschen Zeitung“. Er hat dazu soeben ein neues Buch veröffentlicht (bei Hanser). Während jedoch die früheren Generationen Solidarität mit „gegebener Kollektivität“ in Verbindung brachten, also mit der Tatsache, dass das gemeinsame menschliche Schicksal verbindet, geht der Weg zur Solidarität heute einzig „über das Selbst“. Das sei eine Folge des Neoliberalismus. „Neoliberal meint: Die Verhältnisse werden besser, wenn wir die Chancen und die Kompetenzen, die Rechte und die ökonomischen Kapazitäten der Einzelnen stärken.“ Das neoliberale Denken unterliege allerdings einer Selbsttäuschung: „Inzwischen sehen viele ein, dass auch starke Einzelne sich nicht retten können“, etwa vor dem Klimawandel oder vor weltweiten Migrationsbewegungen.

In der „Welt“ hat Bude darauf hingewiesen, dass Solidarität eine Praxis des Teilens ist. „In solidum heißt im Römischen Recht: Alle für einen und einer für alle.“ Solidarität ist demnach keine Einbahnstraße, die einzig dem Bedürfnis des Ich gerecht werden will. Sie bedeutet vielmehr Wechselseitigkeit, Rücksichtnahme, Einsatz im Dienst des Gemeinsamen. Das könne auch Opfer und Leiden mit sich bringen. Das Gefühl der Solidarität schwinde dort, wo Gruppen sich gegenseitig in Bezug auf ihre Rechte belauern.

Voraussetzung für eine Kultur der Solidarität sei eine recht verstandene, ruhige Gesammeltheit, ja Achtsamkeit, die aus der christlichen Tradition bekannt ist. Zu ihr gelange man durch die Berührung durch den anderen. „Man kann das Liebe nennen oder die Haltung, sein eigenes Maß am Maß der anderen zu suchen.“ Hier gehe es um eine tiefe Erfahrung der Solidarität.

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