An der Nordküste Perus sind Archäologen auf die Knochenreste von 137 Kindern gestoßen, die anscheinend bei einem Massenopfer um das Jahr 1450 getötet wurden. Wie die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet, liegt die Fundstelle nur wenige Kilometer entfernt von der zu jener Zeit wohl größten Stadt des südamerikanischen Subkontinents, Chan Chan. Sie war die Hauptstadt des Chimú-Reichs, das sich über hunderte Kilometer entlang der Nordküste des heutigen Peru erstreckte, damals noch neben dem sich ausdehnenden Inka-Reich.
Die Kinder waren, wie es heißt, in ungewöhnlichen Haltungen begraben. Grabbeigaben fehlten. Alle Skelette weisen dieselbe Verletzung auf: „einen Schnitt quer durch den unteren Bereich des Brustbeins. Teilweise waren Rippen verschoben. Zusammen deutete das laut den Forschern darauf hin, dass der Brustkorb geöffnet und das Herz entnommen war.“ Auch wurden die Skelette von 200 Tieren – Lamas – ausgegraben, die vermutlich ebenfalls geopfert wurden. Die Kinder waren laut Skelett-Untersuchungen in einem guten körperlichen Zustand und zwischen fünf und vierzehn Jahre alt.
Auf unberührten Teilen des ursprünglich von einer Schlammschicht bedeckten sandigen Geländes fanden die Wissenschaftler sogar noch Fußspuren, unter anderem von nackten Kinderfüßen, und Abdrücke von Hufen. Möglicherweise handelt es sich dabei um die letzten „Lebensspuren“ derer, die zur Opferung gebracht wurden.
Die Forscher spekulieren, ob die Opferzeremonie mit dem Klimaphänomen El Niño zusammenhängen könnte, das zu jener Zeit für starke Regenfälle und Überflutungen in der Gegend gesorgt und möglicherweise den Bestand des Chimú-Reichs ernsthaft gefährdet hat. Allerdings scheint dieser „Staat“ damals bereits seinem Ende entgegengegangen zu sein, da die Inka ihn an seinen Grenzen bedrängten und bald danach einnahmen und auslöschten.
Im Bericht der Züricher Tageszeitung heißt es: Menschenopfer, etwa bei den Inka, hätten immer dann zugenommen, wenn Staat und Gesellschaft wesenhaft bedroht waren, etwa durch kriegerische Auseinandersetzungen oder politische Unruhen. Forschungen bei den Azteken im mexikanischen Umfeld wiederum lassen vermuten, dass die exzessiven Menschenopfer zunehmend bei der Bevölkerung selber auf Kritik und Abwehr stießen und dass dies zur Aushöhlung der Autorität der obersten Klassen, einschließlich der Priesterschaft, beitrug, somit den inneren Zerfall jener Reiche beschleunigte. Die genau zu diesem Zeitpunkt ankommenden spanischen Eroberer hatten somit leichtes Spiel, die indianischen Führungseliten zu entmachten, indem sie verschiedene Bevölkerungsgruppen und indianische Völker gegeneinander ausspielten. Jedenfalls war die Herrschaft in den stark von Kriegen bestimmten indianischen Gesellschaften jener Zeit keineswegs so harmonisch und ökologisch, wie romantisierende Vorstellungen unserer Tage über die damaligen Verhältnisse jener Epoche behaupten.
Teilweise mag die spanische Fremdherrschaft in der Anfangszeit sogar als „humanitäre Befreiung“ von der Tyrannei der Menschenopfer empfunden worden sein. Für diese wurden bei den Azteken sogar eigene „Blumenkriege“ geführt, um die dabei Gefangengenommenen als Geschenk für die Gottheit vorzusehen. Schon bald mussten die eingeborenen Völker jedoch erkennen, dass mit den Konquistadoren eine neue bestialische Unterjochung begann. Gegen diese Gewalt hatten einzelne Geistliche, wie der „Vater der Indios“ und spätere Dominikaner-Bischof von Chiapas, Bartolomé de Las Casas, energisch Stellung bezogen, gepredigt und Schriften verfasst, sogar bei der spanischen Krone vorgesprochen. Allerdings mit nur mäßigem und allenfalls zeitweiligem Erfolg.