In den Armen des langjährigen Ehepartners zu sterben, ist für viele ein großer Wunsch. Wenn das Ereignis dann eintrifft, fragt sich der Überlebende, wie es weitergehen kann. Das vorliegende Buch „Sterben und Lieben“ ist das berührende Zeugnis eines Ehepaares, das der Tod 2017 getrennt hat. Es handelt sich um die Gymnasiallehrerin Irene Mieth, die mit dem Tübinger Moraltheologen Dietmar Mieth verheiratet war. Irene Mieth schrieb Tagebuch. Es sind kurze Texte, die unter die Haut gehen und nachdenklich machen.
Dietmar Mieth reflektiert, wie er zusehen und Schritt für Schritt einsehen musste, dass seine todkranke Frau auf ihr irdisches Ende zuging und keine lebenserhaltenden Maßnahmen akzeptierte, die ihr noch ein längeres Leben ermöglicht hätten. „Dietmar, du wirst es verkraften“, sagte Irene zu ihrem Mann. Dieser reflektiert: „Solche endgültigen Entscheidungen lassen leiden. Die Entscheidende und Entschiedene wird weiter unter körperlichen Schmerzen und bettlägerigen Einschränkungen leiden. Ihr Mann wird leiden unter der Angst vor dem Entzug und dem Alleinsein.“ Da ist nicht nur die Kränkung, dass seine Frau die Notoperation verweigert, obwohl die Chirurgen schon bereitstehen. Mieth steht unter enormem Druck, seine Frau zu dieser Operation umzustimmen. „Wenn sie meine Frau wäre, würde ich sie mit aller Macht auf den Operationstisch jagen“, hört er jemanden sagen. Der Konflikt trifft ihn im Innersten. „Für mich ist es eine der härtesten Situationen meines Lebens: Ich muss die Selbstbestimmung meiner Frau intensiv verteidigen, obwohl ich für mich selbst in diesem Fall die Operation gewählt hätte.“
Der Ethiker Dietmar Mieth erinnert sich an die Debatten der letzten Jahrzehnte: die Fragen nach der Selbstbestimmung im Sterben; der Konflikt der Ärzte, ob sie Menschen das Sterben erleichtern dürfen oder nicht; die Fragen nach der Sterbebegleitung, wenn Patienten oder Angehörige weitere medizinische Eingriffe verweigern …
Das Buch stellt aber auch die Sicht des Glaubens heraus. „Warum sollte Gott ihr Weiterleben unter Schmerzen und Behinderungen als ein abhängiger Pflegefall wollen? Sie fand das archaisch. Diese Vorstellung war für sie an den alten Opfergedanken gebunden, nach dem Nachfolge Jesu bedeutet, sich für andere aufzuopfern, statt den eigenen Weg aus der Spirale der Gewalt zu finden. Warum sucht dann Jesus selbst nicht den Weg zum Überleben? Irene war sich sicher, dass Gott nicht das reine Überleben wollen kann.“ Die Ehepartner sehen es so: Jesus nimmt den Tod als Zeichen der Gewaltlosigkeit des Reiches Gottes in Kauf. „Er sah keinen anderen Weg, der Gewaltanwendung zu entkommen.“
Die Verweigerung lebensrettender Eingriffe ist ein Unterlassen, das gegenüber einem selbst, gegenüber dem Geliebten und der Familie auch religiös begründet und verantwortet werden muss. Das sah auch Irene Mieth so und kam in diesen Punkten zur inneren Übereinstimmung: „Ja, sich sterben lassen, ohne alles dagegen zu unternehmen, ist persönlich, familiär und religiös richtig. Ich vertraue meinem Mann, dass er dies nachvollziehen kann und seinen Wunsch nach meinem Überleben, unter Umständen auch mit Einschränkungen und Pflegebedarf, hinter meinen Wunsch nach dem Abschluss eines erfüllten Lebens zurückstellt.“
Karfreitag und Ostern werden für den Leser in diesem Buch lebensbedeutsam erschlossen und eröffnen so ein persönliches Weiterdenken und Hoffen. Im Überlebenden keimt die Furcht vor dem Verlust und vor der „Verwesung“. Diese Furcht soll sich öffnen für die „Hoffnung auf eine intensivere Lebendigkeit“. „Irene fürchtet sich weder vor noch um Gott. Es war für sie und mich eine besondere Erfahrung, Angstfreiheit im Tod zu erleben. Die Sterbende tröstet die Zurückbleibenden über ihren Verlust. Das hat Irene dann auch nicht nur versucht, sie hat es getan.“ Das ähnelt stark der Verheißung in Psalm 4: „Da mir eng war, hast du mir’s weit gemacht.“