In den letzten Jahren bin ich mir in zunehmendem Maß der gefährlichen Möglichkeit bewusst geworden, das Wort Gottes sensationell aufzumachen. Wie Menschen gebannt einem Artisten im Zirkus zuschauen können, der sich in einem glitzernden Kostüm durch die Luft schwingt, so können sie auch einem Prediger zuhören, der das Wort Gottes dazu benützt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Der monastische Weg zur Erfahrung ist das gerade Gegenteil … Vielleicht – wenn du dir dessen bewusst geworden bist, dass du nichts zu sagen hast, was nicht schon gesagt worden wäre –, vielleicht könnte dann ein Mönch daran interessiert sein, dir zuzuhören. Das Geheimnis der Liebe Gottes besteht darin, dass wir in dieser Gleichheit unsere Einmaligkeit entdecken.
Wenn wir das Verlangen, anders zu sein, aufgegeben und uns selbst als Sünder erfahren haben, ohne jedes Recht auf besondere Beachtung, dann entsteht ein Raum, in dem wir unserem Gott begegnen, der uns bei unserem Namen ruft und uns einlädt, ihm in einer letzten Tiefe nahezukommen.
Henri Nouwen aus: „Ich hörte auf die Stille. Sieben Monate im Kloster“ (Verlag Herder, Freiburg 2018 [Neuausgabe])