In digitalen Zeiten haben die einen wenig Zeit zum Lesen, die anderen gründen förmliche Lesezirkel, um aus dem Reichtum gelungener Literatur zu schöpfen. Zur Orientierung und Anregung gestaltet der gelehrte Theologe, Religions- und Kulturwissenschaftler Bernhard Lang eine Art Ahnengalerie, die hundert große Werke der Weltliteratur vorstellt – chronologisch vom babylonischen Gilgamesch-Epos um 1100 v. Chr. bis zu Dag Hammarskjölds Tagebuch von 1963. Die Auswahl an Literatur, Heiliger Schrift und auch Sachbuch folgt zugleich einem religiösen Interesse. Des Näheren sind es dazu drei Themenkreise, die den Kosmos der Weltliteratur begehen: Lebensgeschichte und biografisches Erzählen, Lebensweisheit archaisch bis spätmodern sowie (Heils-)Geschichte.
Was derart noch abstrakt wirken könnte – und am Ende genauer entfaltet wird –, gewinnt Farbe und Würze durch die treffsicheren Einführungen in so unterschiedliche Werke wie Platons „Apologie des Sokrates“, Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“, Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ oder die Kairo-Trilogie von Nagib Machfus, um nur einige zu nennen. Bei jedem Werk geht es um den Dreischritt von Darstellung, Interpretation und Wirkungsgeschichte – kenntnisreich, informativ, originell. Selbst Fachleute können darin Neues finden.
Natürlich sind klassische Texte der Religionsgeschichte reichlich vertreten – angefangen bei der hinduistischen Bhagavad-Gita über biblische Bücher bis hin zu Mystik, Blaise Pascal und Martin Buber. Aber die anregende Sammlung mischt die Gattungen und Perspektiven (nur für die Lyrik ist kein Raum mehr). Und so kommen überraschende Entdeckungen und lehrreiche Resonanzen zustande, bildend und unterhaltsam zugleich. Wie aus der Vogelperspektive schaut man auf den Reichtum der Literatur- und Religionsgeschichte. Zugleich lässt sich jedes Werk einzeln wie in Nahaufnahme aufs Trefflichste begehen. Die Lust am (weiteren) Lesen steigt, und das Gefühl für Qualität und Weite wächst. Die klare, fast lexikalische Struktur samt guter Register machen das brillante Buch zu einem Bildungsvergnügen und Standardwerk in einem.
Dass jede Auswahl höchst subjektiv bleibt, ist klar: Warum etwa zweimal William Shakespeare und keiner der altgriechischen Tragödiendichter? Warum kein Meister Eckhart oder Johannes vom Kreuz? Und wo sind Cervantes und Schleiermacher? Großartig aber ist der Gesamtdurchblick mit klarer und offener Systematik, der Mut zur Verdichtung mit glänzenden Werkerschließungen, nicht zuletzt die interdisziplinäre und interreligiöse Weite. Wirklich eine Schatztruhe religiös angeregter dichterischer Kreativität, unschätzbar gerade in Zeiten religiöser Inflationierung und christlicher Sprachnot.