Über dem Westportal von Westminster Abbey wurde Dietrich Bonhoeffer (1906–1945) – unter anderem neben Maximilian Kolbe, Martin Luther King, Oscar Romero und Esther John – als einer von zehn bedeutenden Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts dargestellt. Dass der Sohn einer Gelehrtenfamilie ein beispielhafter Mensch, ein Märtyrer, ja ein ökumenischer Heiliger werden würde, darauf hatte am Anfang wenig hingedeutet. Vielmehr, so Wolfgang Huber, der frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, lebten die Bonhoeffers in einem Villenviertel, in dem man weitgehend unter sich war. „Das Bewusstsein, in einer Elite aufzuwachsen und zu entsprechender Verantwortung verpflichtet zu sein, prägte früh das Selbstverständnis dieses Kreises.“
Darum erregte Bonhoeffers Schritt, Theologie zu studieren, beim naturwissenschaftlich gebildeten Vater, einem berühmten Psychiater der Berliner Universität, zunächst Ablehnung. Aber Herausforderungen wirkten auf den selbstbewussten jungen Mann wie ein Lebenselixier. Den preußischen Protestanten zog es nach Rom; den begabten Wissenschaftler drängte es in die Praxis; der Prediger blieb nicht beim Wort, sondern schritt zur Tat: Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich der Theologe, der als Mitglied der Bekennenden Kirche und Leiter des Finkenwalder Predigerseminars für die verfolgten Juden Partei nahm, zum Kämpfer gegen das nationalsozialistische Terrorregime.
Als Bonhoeffer kurz vor Kriegsbeginn nach New York eingeladen wurde, eröffnete ihm das plötzlich die Möglichkeit, sich vor dem drohenden Zugriff der Nazis in Sicherheit zu bringen. Huber: „Mit der Rückkehr aus Amerika im Juni 1939 traf Bonhoeffer die Entscheidung, mit seiner Person, ja mit seinem Leben, für ein anderes und besseres Deutschland einzutreten.“ Der Zeitgenosse im Widerspruch zum Nationalsozialismus musste sich dann – paradoxerweise um der Wahrheit willen – als Abwehrmann und Mitglied der Konspiration gegen Hitler auf Verstellung und Maskerade einlassen. Hitlers Befehl, ihn mundtot zu machen, ereilte Bonhoeffer noch aus dem umkämpften Führerbunker heraus: Am 9. April 1945 stieg der 39-jährige Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg die Stufen zum Galgen hinauf.
Seitdem, erklärt der Autor in seinem „Epilog: Was bleibt“, ist es nicht mehr still um den Christuszeugen geworden. „Ich will also darauf hinaus“, schrieb Bonhoeffer 1944 an einen Freund, „dass man die Mündigkeit der Welt und des Menschen einfach anerkennt, dass man den Menschen in seiner Weltlichkeit nicht ‚madig macht‘, sondern ihn an seiner stärksten Stelle mit Gott konfrontiert.“ Durch sein biografisches Porträt gelingt es Wolfgang Huber auf meisterhafte Weise, über Dietrich Bonhoeffer zu sprechen und dabei theologisch Erwünschtes einzulösen: Glauben im 21. Jahrhundert verstehbar zu machen.