Dass Gott sich inkarniert, „Fleisch“ wird, war für die frühe Christenheit auch nicht leichter denkerisch zu durchdringen als für Christen von heute. Die große Herausforderung ist „der Abgrund des Raumes, der Zeit und der Generationen“. So stellt sich die Frage, ob und wie es wahr sein kann, dass nach Milliarden von Jahren, angesichts von Milliarden Galaxien Gott auf dieser Erde im Menschen Jesus von Nazareth Mensch wird.
Der 2018 früh verstorbene Kirchenhistoriker Franz Dünzl zeichnet das Ringen der Alten Kirche um ein angemessenes Verständnis der Menschwerdung detailliert und in sämtlichen Facetten nach: angefangen bei der neutestamentlichen Entäußerungs-Theologie über Ausformungen der Geist-Christologie bis zu den christologischen Kontroversen des vierten und fünften Jahrhunderts, die im Konzil von Chalcedon und seiner Wirkungsgeschichte ihren Höhepunkt erreichen, schließlich mit dem Streit über den – einen – Willen in der Person Christi.
Die Fülle der Quellen führt nicht etwa in eine kirchenhistorische Verengung, sondern eröffnet Perspektiven für gegenwärtige Zugänge zum Christus-Geheimnis. Dem Autor gelingt so eine biblische, dogmengeschichtliche, dogmatische und auch spirituelle christologische Zusammenschau, wie sie selten geboten wird, weil sie die Grenzen der einzelnen theologischen Disziplinen überschreitet. Darin liegt die besondere Stärke dieser Darstellung.