Zwischen meinen Welten liegen zweitausend Meilen. Fühl mich oft zerrissen, würd’ sie gerne verein’. Ich würd’ so gerne wissen, wo ich hingehör’. In meinen Träumen fließt der Main in das Mittelmeer“, singt die 27-jährige Namika in ihrem Lied „Nador“. Als Kind marokkanischer Eltern wuchs sie in Frankfurt auf. Ihre Erfahrungen verarbeitete sie schon früh mithilfe der Musik. Bereits mit neun Jahren begann sie, mit ihrem Cousin zu rappen, mittlerweile ist sie regelmäßig in den deutschen Charts. Ihr erstes Album heißt „Nador“, wie die marokkanische Hafenstadt, aus der ihre Familie stammt. Früher hat sie die Sommerferien regelmäßig dort verbracht.
In dem Album geht es oft um die Herausforderung, zwischen zwei verschiedenen Kulturen aufzuwachsen und eine eigene Identität zu finden. In einem Interview mit der Initiative „Faces of Democracy“ (Gesichter der Demokratie) sagte die Sängerin, sie liebe Deutschland dafür, „dass Multikulti funktioniert hat, noch bevor die angstschürenden Worte der AfD das infrage stellen konnten. Querdenker und Individualisten, die unser Land auf positive Weise nach vorne brachten, waren schon immer willkommen und werden es auch bleiben.“ Doch auch die Sängerin hat Fremdenfeindlichkeit erfahren. In ihrem Lied „Na-mi-ka“ rappt sie: „Mitten in Deutschland manchmal missverstanden als Migrantenmischling, und Integration misslingt, wenn im Blick auf die Oma mit Kopftuch Missgunst mitschwingt.“ Der „Frankfurter Rundschau“ erzählte sie von persönlichen Erlebnissen mit Alltagsrassismus: „Klar gibt es Idioten, die mal einen falschen Satz fallen lassen. Gerade wenn sie meine Mutter, die Kopftuch trägt, sehen. Als Kind erinnere ich mich an eine sehr heftige Situation, als Jungs meine Mutter einschüchtern wollten. Sie spuckten ihr vor die Füße.“
Religion spielt seit ihrer Kindheit eine wichtige Rolle für Namika. Der „Süddeutschen Zeitung“ sagte die Sängerin: „Der Islam gibt mir Bodenhaftung und hat mich von dieser ganzen Drogenszene im Musikbusiness ferngehalten.“ Auch in ihren Liedtexten geht es manchmal um religiöse Themen, wie im Lied „Hände“ – eine Hommage an ihre Großmutter, bei der die Künstlerin in ihrer Kindheit sehr viel Zeit verbracht hat. „Es war mein Traum, dass ich sie mal nach Mekka fahr’“, erzählt sie darin. Namika bewundert, wie die Großmutter mit Schicksalsschlägen umgegangen ist, „doch nie die Hoffnung verloren hat, denn sie weiß, Gott ist da oben“.
In der „Frankfurter Rundschau“ erzählte die Künstlerin über ihren Glauben: „Ich bin religiös erzogen worden, und ich bin immer in Kontakt mit dem lieben Gott auf meine Art und Weise. Ich finde es aber sehr schade, was mit der Religion heutzutage passiert. Dass Religion instrumentalisiert und politisiert wird. Ich muss manchmal Angst haben, laut auszusprechen, dass ich Moslem bin. Denn gerade findet so eine Islam-Hetze statt. Ich glaube, den Imageschaden, den Moslems haben, den kann momentan nur VW nachvollziehen.“
Musikalisch verarbeitet sie auch die Geschichte ihrer Eltern. Im Lied „Ahmed (1960–2002)“ heißt es: „Ende der Achtziger, sie besucht ihr Mutterland. Unbekannter Mann hält um die Hand meiner Mutter an. Sie will nicht heiraten. Doch würde aus Respekt zu ihren Eltern nie Nein sagen.“ Der Vater zog zur Mutter nach Frankfurt, war arbeitslos und rutschte schnell in den Untergrund ab, handelte mit Drogen. Noch vor Namikas Geburt wurde er abgeschoben und landete schließlich in einem marokkanischen Gefängnis. Die Mutter erfuhr erst Jahre später davon. Sie dachte, dass er einfach weggelaufen wäre. Nach seiner Haftentlassung versuchte der Vater, die Familie wiederzugewinnen, drohte sogar damit, seine Tochter zu entführen und mit nach Marokko zu nehmen. Im Lied heißt es dazu: „Seit diesem Tag durfte ich nie wieder alleine draußen spielen.“ Schließlich starb er, als Namika vierzehn Jahre alt war. „Ich hab’ ihn nie gesehen, nie gehört, nie begriffen. Doch alle meinen, ich sei ihm wie aus dem Gesicht geschnitten“, fasst sie musikalisch ihre Vater-Tochter-Beziehung zusammen.
Nicht alle ihre Lieder haben so ernste Texte. Ihr aktueller Titel heißt „Je ne parle pas français“. Es handelt von einer Begegnung mit einem jungen französischsprachigen Mann, die tatsächlich so stattgefunden hat. Namika, die kein Französisch spricht, konnte ihn nicht verstehen. „Ich habe ihn einfach weiterreden lassen, weil ich die Sprache so schön fand. Nach einer halben Stunde ist jeder von uns seines Weges gegangen.“ Im Lied sagt sie es so: „Je ne parle pas français, aber bitte red’ weiter. Alles, was du so erzählst, hört sich irgendwie nice an. Und die Zeit bleibt einfach stehen, ich wünscht’, ich könnte dich verstehen.“
Zwei Studioalben hat die Sängerin bislang veröffentlicht. Doch weitere dürften folgen. Auf jeden Fall wird sie noch viele Texte verfassen, „Namika“ ist nämlich Arabisch und bedeutet „die Schreibende“.