Um den extrem vielen Schwangerschaftsabbrüchen in Russland, die vielfach als Mittel zur Geburtenplanung verstanden werden, und der damit verbundenen Bedenkenlosigkeit in großen Teilen der Bevölkerung entgegenzuwirken, soll eine breite politische Debatte starten. Als Grundlage hat die Orthodoxie den Entwurf eines Dokuments über die „Unverletzlichkeit des Lebens von der Empfängnis an“ veröffentlicht. Auch ein Embryo sei ein „menschliches Wesen“ und habe daher ein „Recht auf Leben“, heißt es darin. In dem auf der Website der russischen Kirche veröffentlichten Entwurf steht weiter, die Orthodoxie trete dafür ein, dass die Grundrechte des Embryos in einem Gesetz verankert werden. Außerdem wird eine Gewissensklausel für Ärzte und sonstiges medizinisches Personal gefordert, damit sie nicht gezwungen werden können, Abtreibungen durchzuführen beziehungsweise an ihnen mitzuwirken.
Auch seien wissenschaftliche Manipulationen an Embryonen abzulehnen. „Die Tatsache, dass für Tausende von Embryonen die Möglichkeit der Entwicklung und des Lebens durch Experimente und Tod ersetzt wird, unterminiert die menschliche Würde und das Recht auf Leben.“ Beklagt wird, dass allzu oft Befunde der Pränataldiagnostik, die zum Beispiel auf Erbkrankheiten hinweisen, unweigerlich zum Schwangerschaftsabbruch führen. Alle Russen können bis Ende September zu dem Entwurf der orthodoxen Kirche Stellung nehmen.
Anscheinend mehrt sich im Kontext der Menschenrechtsbewegung und der neueren ökologischen Sichtweisen, die die Würde allen Lebens betonen, mancherorts selbst in säkularen, kirchenfernen Kreisen die Einsicht, dass die extrem liberalistische Haltung gegenüber dem sich von der Empfängnis an entwickelnden menschlichen Leben kritisch überdacht werden muss. Das betrifft insbesondere die weiterhin erschreckend vielen Abtreibungen. Auch in den Vereinigten Staaten scheint mancherorts ein nachdenkliches Bewusstsein zu wachsen. Die recht freizügigen Auffassungen von Schwangerschaftsabbrüchen bräuchten eine dringende Korrektur, erst recht in einem Zeitalter, in dem viele sichere Möglichkeiten der Empfängnisverhütung zur Familienplanung und verantworteten Elternschaft zur Verfügung stehen.
In Deutschland möchte der Gesundheitsminister Jens Spahn eine wissenschaftliche Studie zur Erforschung der seelischen Folgen von Abtreibungen spätestens Anfang 2020 durchführen lassen. Wahrscheinlich werde es auch nicht nur eine Studie, sondern mehrere Studien geben. Befürworter einer weitestgehend freigebenden Abtreibungsregelung haben aufgrund ihrer ideologischen Sicht dieses Vorhaben scharf kritisiert. Dagegen erklärte Spahn: „Wer kann denn etwas dagegen haben, dass wir uns fragen, wie es Frauen vor und nach Abtreibungen geht? Ob sie Hilfe brauchen?“ Das seien doch offene Fragen.