Die serbische orthodoxe Kirche in Deutschland hat unruhige Jahre hinter sich. 2012 wurde der Diözesanbischof wegen einer Finanzaffäre suspendiert. Sein Nachfolger wurde 2017 wegen Verschleierung der desolaten Haushaltslage abberufen und versetzt. Es folgte ein Jahr Vakanz. Seit 2018 leitet Grigorije Duric die Diözese, zuvor Bischof von Zahumlje und Herzegowina. Eins seiner wichtigsten Ziele benannte er kürzlich in Hannover anlässlich einer Tagung zum fünfzigjährigen Bestehen der Diözese: Die Gemeinden sollen Orte der Identitätsstiftung sein – ohne sich gegen andere abzuschotten.
Bischof Grigorije liegt damit auf der Linie seines katholischen Amtsbruders Gerhard Feige, Bischof in Magdeburg und bestens vertraut mit der Situation einer Minderheitenkirche in der Diaspora. Natürlich sei die Versuchung da, sich zurückzuziehen und sich abzukapseln, sagte Feige, der auch die Ökumenekommission der Bischofskonferenz leitet. Die Katholiken in Sachsen-Anhalt hätten sich aber anders entschieden. Sie wollten eine „schöpferische Minderheit im ökumenischen Geist sein“, sich also einmischen und mitgestalten.
Eine genaue Statistik gibt es nicht. Geschätzt wird aber, dass zwei Millionen orthodoxe Christen in Deutschland leben. Sie sind russischer, ukrainischer, rumänischer, bulgarischer, serbischer, griechischer, georgischer und auch deutscher Abstammung. Etwa 500000 fühlen sich der serbischen orthodoxen Kirche zugehörig. Pavle Aničić, Beauftragter für Mission, betonte allerdings: „Wir müssen anerkennen, dass die Identität und die Bedürfnisse der Gläubigen sich geändert haben.“ Viele lebten bereits in dritter oder vierter Generation in Deutschland und betrachteten Serbisch nicht mehr als ihre Muttersprache. Um diese Menschen überhaupt zu erreichen, müssten die fünfzig Priester zwingend zweisprachig predigen und beten.
Der Riss durch die Orthodoxie
Orte der Identitätsbildung sind vor allem die dreißig Kirchen, meist Neubauten, in denen sich traditionelle Motive mit funktionaler moderner Architektur verbinden, wie der in Wien lehrende Theologe Miroljub Gligorić analysierte. Die Teilnehmenden der Tagung waren zu Gast im Kirchenzentrum des Heiligen Sava, 1995 in Hannover erbaut. Für die Integration sei das ein extrem wichtiger Schritt gewesen, betonte Erzpriester Milan Pejić, der vier Jahrzehnte die Gemeinde leitete. Sie habe sich mit dem Bau ein Zuhause geschaffen, ein religiöses und soziales Zentrum, das aber offen sei für jeden. Gläubige aus bis zu zwanzig Nationen besuchen inzwischen die Gottesdienste. Mit Katholiken und Protestanten arbeitet die Gemeinde eng zusammen. Nur die innerorthodoxe Ökumene liegt zurzeit auf Eis.
Seit der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. die ukrainische orthodoxe Kirche als selbstständig anerkannt hat, geht ein tiefer Riss durch die weltweite Orthodoxie. Das Moskauer Patriarchat bestreitet die Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs, und die erbitterte Auseinandersetzung darüber reicht bis in die Gemeinden nach Deutschland. So hat die russische orthodoxe Kirche ihren Priestern verboten, gemeinsam mit Priestern des ökumenischen Patriarchats zu zelebrieren. Vor Ort sei das außerordentlich belastend, bedauerte Milan Pejić. Etliche ukrainische Gläubige suchten in dieser verfahrenen Situation nach einem Ausweg. Statt in die russische Kirche zu gehen, kämen sie nun in die serbische Gemeinde, um dort beim Priester zu beichten, Kinder taufen zu lassen oder zu heiraten.
Ein Territorium, mehrere Bischöfe?
Wie die aktuellen Beispiele Ukraine und Montenegro zeigen, wird Autokephalie, die kirchliche Selbstständigkeit, als Pendant der politischen Unabhängigkeit verstanden und instrumentalisiert. Man beruft sich dabei auf eine orthodoxe Tradition. Nenad Živković, Doktorand an der Universität Erfurt, stellte diese Tradition am Beispiel der serbischen orthodoxen Kirche infrage. Die Verleihung der Autokephalie 1922 im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen wie auch 1897 im Fürstentum Serbien hänge zwar eng mit dem jeweiligen Staatsbildungsprozess zusammen. Für die ursprüngliche Verleihung der Autokephalie 1219 im mittelalterlichen serbischen Staat gelte das aber nicht. Fazit des Referenten: Das Verständnis von Autokephalie unterliegt Veränderungen, die Orthodoxie muss klären, was sie heute darunter versteht.
Wer darf die Autokephalie verleihen? Wie entsteht sie? Diese Fragen sind seit langem strittig, wurden aber 2016 vor dem Konzil auf Kreta wieder von der Tagesordnung genommen. Die Orthodoxie ist momentan nicht in der Lage, in dieser kirchenrechtlichen Frage eine einheitliche Position zu finden. Obwohl gerade in der Diaspora die Probleme des Autokephalie-Konzepts offen zutage treten. Mehrere nationale orthodoxe Kirchen haben in Deutschland quasi eine Niederlassung, mit der Folge, dass mehrere Bischöfe für dasselbe Territorium zuständig sind. Nach orthodoxer theologischer Überzeugung geht das aber eigentlich nicht, es kann immer nur einen Bischof geben, so Thomas Bremer, Professor für Ostkirchenkunde an der Universität Münster und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Tagung.
In Deutschland versucht man, das Problem mit der 2010 gegründeten, einstimmig entscheidenden orthodoxen Bischofskonferenz zu lösen. Allerdings lässt die russische orthodoxe Kirche ihre Mitgliedschaft zurzeit ruhen. Bei Themen, die für die Integration wichtig wären, Religionsunterricht etwa oder Präsenz der Orthodoxie in den Medien, geht es also nicht voran. Auf der Jubiläumstagung referierten zumeist jüngere Wissenschaftler. Ihr Votum für mehr Offenheit und Pluralität stand ganz im Gegensatz zur orthodoxen Realpolitik.