Mystik ist keine Gesetzesvorlage

Die mystische Seite des Christentums ist weitgehend verloren gegangen, „zuerst bei den Protestanten und zunehmend auch bei den Katholiken“. Das bedauert der Münsteraner Theologe und Islamwissenschaftler Thomas Bauer in den „Salzburger Nachrichten“ anlässlich der dortigen Hochschulwochen. Den Kirchen sei es heute oft wichtiger, gesellschaftspolitisch zu wirken. Dies sei zwar auch „sehr gut“. Doch überdecke es die spirituelle Dimension des Glaubens. „Christentum hört nicht bei der Brüderlichkeit allein auf“, so Bauer, der in Münster Islamwissenschaft und Arabistik lehrt.

Besonders in der Feier der Gottesdienste erfahre man diese unzureichende Einseitigkeit schmerzhaft. Es gebe in der Liturgie heute einen Vorrang des Wortes. Die gute Absicht dahinter sei es, am Alltag der Menschen anzuknüpfen und sie zu stärken. Nicht selten gerate dies jedoch zu einem Anbiedern an die Popkultur. Liturgie sei aber eigentlich viel mehr: Sie müsse über das eigene Ich und den Alltag hinausführen. „Der Versuch, Brücken in den Alltag zu schlagen, endet dann, wenn man in der Liturgie nichts mehr bekommt, was man nicht ohnehin im Alltag schon hat.“

Die Kirchen sollten daher wieder stärker das Glaubensgeheimnis und die mystische Dimension ins Zentrum religiöser Wahrnehmung rücken, empfiehlt Bauer. Den Kern des Glaubens könne man nicht wie eine Gesetzesvorlage in einem Parlament annehmen oder ablehnen. Vielmehr müsse man sich ihm spirituell, künstlerisch und intellektuell gleichermaßen nähern. Als Beispiel nannte Bauer die Rede von der Trinität Gottes. „Da kann man nicht sagen, du musst an die Dreifaltigkeit glauben. Man kann über die Dreifaltigkeit nur meditieren, man kann sie zum Inhalt des Nachdenkens machen, um Assoziationen zu gewinnen und Sinne – in der Mehrzahl – darin zu finden.“

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