Krankheitserfahrung und ReligionVon Pflege, Glaube und Hoffnung

In der Krankenpflege wird religiöse Begleitung immer wichtiger. Entscheidend ist eine Vernetzung der Träger über weltanschauliche Grenzen hinweg. Einige Beispiele aus Berlin.

„Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“: Krankenpflege und Totenbestattung auf einem Fresko der Kirche San Fiorenzo in Bastia Montovi (Italien).
„Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist“: Krankenpflege und Totenbestattung auf einem Fresko der Kirche San Fiorenzo in Bastia Montovi (Italien).© Foto: picture-alliance/akg

Es gibt keine Religion, die nicht der Hilfe für den Nächsten eine große Bedeutung beimisst“, sagt Frank Schumann. Der Krankenpfleger arbeitet bei der Diakonie und ist Projektleiter einer besonderen Einrichtung, in der Kirche und Staat zusammenarbeiten. Die Fachstelle für pflegende Angehörige ist eine Berliner Besonderheit, vermutet Schumann. Die Institution ist Teil der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und wird durch den Berliner Senat finanziert. Träger ist das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte.

Frank Schumann ist fest davon überzeugt, dass pflegende Angehörige mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit von Gesellschaft und Politik benötigen. Für ihn ist das, was diese Millionen Menschen in Deutschland tun, ein „Dienst an der Gesamtgesellschaft. Pflege ist keine Randnotiz des Lebens.“

Eine wichtige Rolle spielen dabei auch Religion und Glaube. „Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Religiosität eine Kraftquelle bei der Pflege eines Familienangehörigen darstellen kann“, sagt Claudia Schacke, Professorin für Soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Ein wesentliches Element bei der Bewältigung einer solch herausfordernden Lebenssituation sei die Sinnfindung. „Wird die Pflegeanforderung als sinnhafte Episode des eigenen Lebens angenommen und integriert, fällt der Umgang mit den entsprechenden Herausforderungen leichter.“

Doch das Thema ist auch aufseiten der Pflegebedürftigen wichtig. „Pflegebedürftigkeit macht vor keiner Kultur, Weltanschauung oder Religion halt“, betont Samira Tanana vom Berliner Kompetenzzentrum. Die in Berlin geborene Muslimin mit palästinensischen Wurzeln ist in ihrer Einrichtung für die Koordination der Pflege zuständig. Zusammen mit ihren Kolleginnen schult sie Pflegekräfte. Sie bieten zum Beispiel Seminare an, damit sich Pfleger und Pflegeeinrichtungen für die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund öffnen. Ein Bereich, in dem Tanana noch viel Handlungsbedarf sieht: „Es fehlen Pflegeheime mit interkultureller sowie kultursensibler Ausrichtung.“ Denn beim Thema Pflege für Menschen mit muslimischem Glauben zum Beispiel gibt es einiges zu beachten. „Ganz wichtig ist natürlich das Essen“, erklärt Samira Tanana.

Dass Muslime kein Schweinefleisch essen, wüssten ja die meisten. „Das Fleisch muss aber auch halāl sein“, also nach religiösen Vorschriften geschlachtet. „Es gibt ja verschiedene Schlachtungsrituale“, klärt sie auf. Auch ein besonderer Waschraum für rituelle Waschungen vor dem Gebet sei wichtig, „und dass man von einem Pfleger oder einer Pflegerin betreut wird, je nachdem, ob man Mann oder Frau ist“.

Als sozialpädagogische Fachkraft hat Samira Tanana einen zusätzlichen Berufsabschluss für die Pflege von Demenzpatienten erworben. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit besteht in der Vernetzung mit anderen Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen: „Wir sind regelmäßig mit den Kirchengemeinden im Gespräch und haben gute Kontakte zur Caritas.“ Diese und die Arbeiterwohlfahrt sind die Träger des Interkulturellen Kompetenzzentrums. Auch zur jüdischen Gemeinde versuche sie gerade einen Kontakt aufzubauen.

Soeben hat die Universität Lausanne in der Schweiz einen Studiengang „Spiritual Care“ eingerichtet, um die Absolventen für die religiös-geistliche Dimension zu sensibilisieren. Gemäß einer amerikanischen Studie möchten mittlerweile vier Fünftel aller Patienten in Praxen und Krankenhäusern mit ihrem Arzt über Spiritualität reden können.

Eine Seelsorgerin in Bielefeld sitzt am Bett einer dauerbeatmeten Patientin.
Eine Seelsorgerin in Bielefeld sitzt am Bett einer dauerbeatmeten Patientin.© Foto: picture-alliance/epd

Dass selbst in kirchlichen Einrichtungen des Gesundheitswesens inzwischen gewisse Hemmungen bestehen, Krankheit und die Hoffnung auf Heilung in einen religiösen Zusammenhang zu stellen, darauf hat der Theologe Thorsten Moos in seinem Buch „Krankheitserfahrung und Religion“ (Tübingen 2018) aufmerksam gemacht. „Auch in einer Zeit, in der christliche Symbole und theologische Begriffe keine allgemeine Plausibilität mehr beanspruchen können, bedarf es jedenfalls guter Vermittlungsinstanzen religiöser Rationalität an eine profane Gesundheitsversorgung.“

Muslimische Krankenschwester in Bad Honnef
Muslimische Krankenschwester in Bad Honnef© Foto. KNA-Bild

In Berlin habe sich die Zusammenarbeit der Freien Wohlfahrtsträger in diesem Zusammenhang nach Einschätzung von Sylvia Svoboda wesentlich verbessert. Sie ist Pflegedirektorin bei den Sozialdiensten der Volkssolidarität. Einst befand man sich in einer Konkurrenzsituation. Heute unterstützt man sich in den Netzwerken. „Wenn wir zum Beispiel beim ambulanten Hospizdienst keine ausreichenden Kapazitäten haben, weil alle Ehrenamtlichen im Einsatz sind, dann kooperieren wir und rufen Hospizdienste von anderen Trägern an – ob von der Diakonie oder vom Jüdischen Verein, das ist vollkommen egal. Wir unterstützen uns, weil jeder Träger die Not der Angehörigenarbeit kennt und wertschätzt.“

Svoboda ist für achtzehn ambulante und stationäre Einrichtungen in Berlin zuständig. Neben Seniorenheimen und Senioren-Wohngemeinschaften gehören auch Angebote für Menschen mit Demenz dazu. Die Volkssolidarität in der Hauptstadt ist zwar konfessionell ungebunden, aber „wenn der Bedarf für die Krankensalbung besteht oder das Gespräch mit einem Pastor gewünscht wird, dann kümmern wir uns“.

Bei einer Morgenandacht der örtlichen Tuberkulose- und Leprastation im kamerunischen Manyemen bittet die Gottesdienstleiterin um Segen und Heilung.
Bei einer Morgenandacht der örtlichen Tuberkulose- und Leprastation im kamerunischen Manyemen bittet die Gottesdienstleiterin um Segen und Heilung.© Foto: picture-alliance/imageBROKER

Mit dieser Pragmatik arbeitet auch ihr Kollege Frank Schumann von der Diakonie. „Natürlich ist es hilfreich, wenn man das Thema Pflege und Familie vor einem christlichen Hintergrund betrachtet“, meint er. Aber ob jemand einen evangelisch-christlichen, einen katholisch-christlichen oder einen humanistischen Hintergrund hat, sei für die Arbeit mit zu pflegenden Menschen oder mit pflegenden Angehörigen letztlich egal.

Pflegerinnen auf einer Palliativstation Jeanne Garnie in Paris
Pflegerinnen auf einer Palliativstation Jeanne Garnie in Paris© Foto: KNA-Bild

Auch Sylvia Svoboda argumentiert in diese Richtung: „Wenn man die Angehörigenarbeit im Hospiz beobachtet, dann kann man diesen Hospizdienst einfach als Weltfrieden bezeichnen.“ Es gehe letztlich darum, Menschen bedürfnisgerecht den letzten Willen zu erfüllen. „Ob das ein Protestant ist, der einen Pfarrer braucht, oder ein Jude, der den Rabbiner sehen möchte – das ist vollkommen egal. Es bleibt am Ende immer die Menschenwürde.“

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