Als meine Freundin und ich im Frühsommer erwähnten, dass wir demnächst auf Pilgerreise gehen, gab es stets den gleichen Reflex: „Ah, mit dem Jakob in Spanien.“ Wir stellten klar: „Nein, mit dem Franz in Italien!“ Offensichtlich ist der Franziskusweg weit weniger ein Begriff als der Jakobsweg, den gefühlt fast jeder schon gegangen ist. Die freundliche, wandererfahrene junge Dame im Outdoorladen wollte unbedingt eine Ausrüstung verkaufen, ohne die sie selbst den Jakobsweg nie überstanden hätte. Nach dem wiederholten Hinweis, dass es woanders hingehe, fragte sie nur irritiert: „Aber Sie sagten doch Pilgern, oder?“ Der Jakobsweg ist nicht nur zum Synonym fürs Pilgern geworden. Sondern diese Form des Wanderns hat sich auch zu einem Lifestyle-Phänomen entwickelt. Das gilt für begeisterte Wanderer, die schlicht „mal den Jakobsweg machen wollen“. Das gilt auch für jene, die von der „Auszeit vom Job“ bis zum „Nachdenken über sich selbst“ neben Serpentinen auch innere Kehrtwenden im Sinn haben.
Der gesamte Weg von Florenz nach Rom kann, grob eingeteilt, in vier Etappen zu je einer Woche bewältigt werden. Die zweite, welche die unsere ist, beginnt in Sansepolcro und endet in Assisi. Dort, am wichtigsten Ort der Franziskusverehrung, ist die Mitte des Pilgerwegs. In zwei weiteren Wochenetappen geht es über Spoleto, Terni und durch das Rietital mit seinen bedeutenden franziskanischen Klöstern weiter. Letztlich führen von Assisi viele Franziskuswege nach Rom. Manche Pilger wählen auch die umgekehrte Richtung, von der heiligen Stadt nach Norden.
Vor dem „sprechenden“ Kreuz
Im Grunde will der Franziskusweg jene Orte miteinander verbinden, an denen Franz von Assisi gelebt und gewirkt hat, die für seine innere Entwicklung von entscheidender Bedeutung waren, und dies auf Wegen, die er selbst beschritten haben soll. Man wandert also auf den Spuren des Heiligen. In Assisi wurde Giovanni, Rufname Francesco, als Sohn des reichen Tuchhändlers Pietro Bernardone 1181 oder 1182 geboren. Hier starb er 1226, hier liegt er in der Basilika San Francesco begraben. Nicht weit von Assisi, im Kloster San Damiano, wird seine Berufung zur Erneuerung der Kirche verortet. In der seinerzeit halb zerfallenen kleinen Kirche meditierte er vor einem byzantinischen Holzkreuz und „hörte“ den Gekreuzigten zu ihm sprechen. Franziskus erhielt den Auftrag, das verfallene Haus – die Kirche – wiederaufzubauen. Es handelt sich um das erste „sprechende“ Kruzifix der christlichen Religionsgeschichte. Das Original ist inzwischen in der Basilika Santa Chiara in Assisi ausgestellt, der Grabeskirche der heiligen Klara von Assisi.
In La Verna soll Franziskus 1224, zwei Jahre vor seinem Tod, die Wundmale Christi empfangen haben. Der Graf von Chiusi della Verna, ein großer Bewunderer des Heiligen, hatte ihm den Berg als Rückzugsort für seine Meditationen geschenkt. Das umbrische Spoleto gilt als Ausgangspunkt der inneren Umkehr des verwöhnten Müßiggängers, eine Umkehr, die wesentlich mit der Pflege von Leprakranken in Verbindung gebracht wird. Franziskus war hier 1204 eigentlich mit einem Heereszug nach Apulien unterwegs, um sich die Ritterwürde zu verdienen. Der Wandlungsprozess ist Gegenstand zahlreicher Legenden und letztlich nicht geklärt. In Foligno schließlich verkaufte er seine Habe, um das Kirchlein San Damiano renovieren zu lassen und brach später – allem Reichtum entsagend – mit seinem Elternhaus. Bereits 1209 begab er sich nach Rom, wo Papst Innozenz III. die erste Regel der minderen Brüder von Franziskus und seinen Weggefährten anerkannte.
Pilger sind keine Touristen
Der Franziskusweg ist in vielem ganz anders als der Jakobsweg. Vor allem ist er einsam. Auf manchen Etappen trafen wir allenfalls auf einen oder zwei weitere Pilger. Das mag schon als erster Anhaltspunkt dafür dienen, dass auf diesem Pilgerweg die Einsamkeit, wie sie der Namensgeber so nachhaltig verkündete und selbst suchte, noch eine echte Chance hat. Der Pilgerweg gilt nicht zuletzt deswegen als ein Geheimtipp für alle, die das etwas andere Pilgergefühl suchen.
Beim Start in Sansepolcro ist davon noch nicht viel zu spüren. Der Ort bedient alle touristischen Bedürfnisse und lässt das Herz jedes Italienfans höher schlagen. Im kleinen Städtchen der Toskana an der Grenze zu den Marken Umbriens ist italienisches Flair in Kleinformat zuhause. Für Pilger ist Sansepolcro ein fester Bezugspunkt, weil dort die erste Wochenetappe für diejenigen endet, die von Florenz kommen.
Der Franziskusweg ist auch längst nicht so gut ausgeschildert wie der Jakobsweg. Mitunter fehlt es an Einkehrmöglichkeiten, und es gibt kein Netz von typischen Pilgerherbergen. Aus diesem Grund muss man oft auf Pensionen, Zimmer des sogenannten Agriturismo oder auf Hotels in den kleinen Städtchen ausweichen.
In Sansepolcro versetzen uns zunächst der warme Sommerabend und das perfekte italienische Umfeld in ein trügerisches Wohlgefühl. Aber Pilger sind keine Touristen, vor allem deutsche Pilger nicht. Das lesen wir jedenfalls aus dem vielsagenden Blick des älteren Herrn, der in seinem Garten zugange ist und den wir nach dem Weg zum Kloster Montecasale fragen. Da waren wir bereits einige Kilometer in die falsche Richtung unterwegs gewesen und hatten umkehren müssen. Er könne uns einen kürzeren Weg zeigen, der nicht so beschwerlich – duro – sei, wenn auch nicht ganz so schön und nicht ganz der echte Camino, wie der Franziskusweg verkürzt genannt wird. Es ist aber unser erster Tag, und so wollen wir trotz der drohenden Mittagshitze von dreißig Grad die Herausforderung annehmen. Also kommt nur die anstrengendere Variante infrage. „Duro, eh? – Tedeschi.“ Typisch deutsch. Der Herr nickt wissend, auf seinem Gesicht ein Ausdruck von Resignation und Mitleid, vielleicht eine Spur von Anerkennung, aber das mag Einbildung sein.
Wieder richtig eingenordet, bedeutet der Anstieg zu der Franziskaner-Einsiedelei Montecasale auf fast 700 Metern Höhe die erste Herausforderung in Sachen Fitness und Frustrationstoleranz. Wegen der Verspätung verpassen wir die Öffnungszeiten des Klosters und damit den Blick auf die Stelle, an der Franziskus geschlafen haben soll. Die beeindruckende Panoramalage über dem Tibertal entschädigt – aber nur kurz. Die nächsten Skrupel an unserer Unternehmung ereilen uns in den Hügeln hinter Montecasale, wo wir keinen einzigen brauchbaren Hinweis auf den Weg ins Tal ausmachen können. Spätestens hier wird dem Pilger klar, dass es nicht nur moralisch gemeint sein kann, wenn einer droht, „vom rechten Weg abzukommen“. Der Sitz im Leben einer solchen Formulierung überfällt uns unvermittelt – und auch die damit verbundene Furcht. Die ausgedruckten Karten reichen leider nicht aus.
„Wandern ist beten mit den Füßen“, heißt es. Wenn in dieser Not – gespeist aus Unentschiedenheit, der sich ankündigenden Erschöpfung und dem Wissen, dass gerade mal die Hälfte der Tagesetappe geschafft ist – zwei andere Pilger mit Erfahrung auftauchen, mit einem besseren Wanderführer und einem Quantum Zuversicht, liegt der Gedanke an ein erhörtes Gebet nicht fern. Auch wenn die gemeinsame Strecke nur kurz ist, die Dankbarkeit gegenüber jenen, die uns weiterhelfen, hält an. Jedes zufällige Treffen später ruft unwillkürlich ein Gefühl von Verbundenheit hervor.
Beten mit den Füßen
Wer mit den Füßen beten will, lernt auch, mit den Füßen zu zweifeln. Nachdem der Weg während der beiden nächsten Tage vor allem über Landstraßen und recht ungemütlichen Schotter führt und dabei etliche Höhenmeter zu bewältigen sind, signalisieren die sich immer stärker rötenden Füße, dass die Vorbereitung auf dieses spezielle „Gebet“ wohl doch nicht intensiv genug war. Und die angeblich so passgenauen hochmodernen Wanderschuhe erscheinen wie böse Aliens, deren Schlunde die geschundenen Gliedmaße verschlingen wollen. Abends zur Linderung und morgens zur Vorbeugung reibt man die wunden Ballen, Zehen und Fersen mit Hirschhorntalg ein und stellt ihnen stumm die Frage: „Geht es noch?“
Am vierten Tag, als uns die Straße nach Gubbio besonders öde vorkommt, will sich selbst beim Anblick der Ruine des alten römischen Amphitheaters vor den Toren der Bischofsstadt keine Zuversicht einstellen. Die Erholungsphasen haben wohl nicht genügt. Die Wanderstöcke entlasten weniger als erhofft. Der vorhergesagte Trainingseffekt bleibt ebenfalls aus, von „Glückshormonen“, den Endorphinen, gar nicht zu reden. Das muss er sein, der Hauch von Verzweiflung, wenn der Pilger ahnt, dass das Ziel vielleicht doch nicht erreicht wird.
In solchen Augenblicken ist eine Besinnung auf Sinn und Zweck des Pilgerns hilfreich. Dass da ein Körper mitpilgert und seinen Tribut fordert, ist keine gering zu achtende Erkenntnis. Die Leiberfahrung zählt der Linzer Theologe Michael Rosenberger zu den zentralen Effekten des Pilgerns. Er weist bewusst hin auf den Kernsatz Caro cardo salutis, „der Leib ist der Schlüssel zum Heil“. Eine „leibhaftige“ Wirkung ist aber nur von einem leibhaftigen Eindruck zu erwarten. Rosenberger empfiehlt ausdrücklich „keine zu kurzen Wege“. Wohl um solcher Momente willen.
Trotz aller Beschwernisse bedeutet Gubbio für uns dann doch einen Wendepunkt. Nicht nur der Geist, auch der Körper erinnert sich daran, was eine Rast am Weg, so kurz sie auch währt, was das Trinken im Schatten, was die Dusche und schließlich die warme Mahlzeit am Ende des Tages bewirken. Gubbio ist an den Berg gebaut. Auf der untersten Ebene der Stadt, auf der Piazza dei 40 Martiri, gedenken wir der Opfer des Massakers vom 22. Juni 1944. Hier hatte die deutsche Wehrmacht vierzig Einwohner als Rache für einen Partisanenangriff erschossen. Nicht weit vom zentralen Denkmal des Platzes befindet sich San Francesco, eine der ältesten der dem heiligen Franziskus geweihten Kirchen. Hier soll unmittelbar angrenzend die Familie Spadalonga gewohnt haben, die den Bettelmönch beherbergte und ihm seine Armenkutte schenkte.
Der Heilige und der Wolf
Um die Ecke bezeugt eine Bronzestatue eine untrennbar mit Gubbio verbundene Legende: Der Heilige hatte mit dem Wolf getanzt. Die Geschichte erzählt, Franziskus soll das Tier, das die Einwohner der Stadt terrorisierte, gezähmt und dafür gesorgt haben, dass der Wolf fortan genügend Futter bekam.
Wer in Gubbio über die vielen Treppen, die teilweise die Straßenzüge ersetzen, die Piazza Grande erreicht, wird mit einem großartigen Ausblick über Stadt und Tal für diese Anstrengung belohnt. Beherrscht wird der eindrucksvolle Platz vom Palazzo dei Consoli aus dem 15. Jahrhundert, der wegen seiner Hanglange architektonische Berühmtheit erlangt hat. Dieser Konsulnpalast birgt zugleich im Museo Civico die für viele Historiker wichtigste Attraktion von Gubbio: die sieben großen kupfernen Iguvinischen Tafeln, 1444 in einem Keller entdeckt, deren Inschriften das bedeutendste Zeugnis umbrischer Sprache und Religion darstellen.
Am nächsten Tag ziehen wir mit Zuversicht los. Das Abendessen auf dem einsamen Agriturismo Tenuta di Biscina – selbstgemachte Linguine mit Steinpilzen – mundet ob seiner Qualität. An dieser Raststelle sind wir es, die einer angeschlagenen Pilgerin aus Melbourne/Australien Mut zusprechen und mit Blasenpflastern versorgen. Auch der Weg selbst verändert sich zusehends, ist angenehmer, schattiger. Am letzten Tag ist die Basilika San Francesco, wo Franziskus begraben liegt, bereits Stunden vor der Ankunft in Assisi weithin erkennbar. Ein Ansporn für den letzten Abschnitt.
Prächtige Kirche für den Armen
Wer schließlich dort durch eines der Stadttore hindurchgeht, gerät zunächst in einen tiefen Sog. Zuallererst sollen die vergangenen Tage schwarz auf weiß beglaubigt werden. Vor dem Pilgergottesdienst um 18 Uhr in der Unterkirche der Basilika wird rasch noch der Pilgerpass an der Pförtnerloge mit den zahlreichen, auf der Reise gesammelten Stempeln vorgelegt. Danach erhält der Pilger sein „Testimonium“, eine Bestätigungsurkunde. Erst nach dem Gottesdienst ist Zeit zum Innehalten. Zeit, um sich in dem gewaltigen Gebäudekomplex und rund um die Basilika San Francesco zu orientieren.
Am 17. Juli 1228 wurde der Grundstein für diese Kirche gelegt. Einen Tag zuvor hatte Papst Gregor IX. Franziskus von Assisi heiliggesprochen. Schon 1230 wurde sein Leichnam in die heute als Unterkirche bezeichnete ursprüngliche Krypta überführt. Somit begann der Bau dieser prächtigen Kirche bereits zwei Jahre nach dem Tod jenes Mönches, der selbst auf sein weltliches Erbe verzichtet hatte, ein Leben in Armut predigte und führte und der zum Begründer eines der wichtigsten Bettelorden des Mittelalters geworden war.
Warum hat man dem armen Franziskus eine solch große und reich ausgestattete Kirche gebaut? Diese Frage drängt sich fast jedem auf, der sich mit Leben und Werk des Heiligen auseinandersetzt. In Assisi kann man ihr als deutscher Pilger schon deshalb nicht ausweichen, weil Bruder Thomas Freidel nicht müde wird, sie in seinen Führungen zu betonen. Bruder Thomas selbst scheut sich nicht, jeden persönlich einzuladen, den er am verwandten Idiom im Vorbeigehen erkennt. Ihm zuzuhören, hat einen eigenen Reiz, nicht nur wegen des kompromisslosen Stils der Assisi-Führungen des Franziskaner-Minoriten, der 1967 im pfälzischen Fußgönheim geboren wurde und seit 2008 als Seelsorger in Assisi wirkt. Das Angebot auf der Homepage der Pilgerseelsorge richtet sich ganz ausdrücklich an alle Interessierten und nicht ausschließlich an besonders fromme Menschen.
Dafür, dass die Kirche il Poverello, den kleinen Armen, schon so früh mit einem solchen prächtigen Bau ehrte, gab es gute Gründe, erklärt der Franziskaner. Die radikale Nachfolge Jesu in absoluter Armut, die Lösung aus allen bisherigen sozialen Bindungen hatte bereits zu Lebzeiten aus Franziskus einen Heiligen gemacht, der viele Menschen in seinen Bann zog. Es gab nicht wenige religiöse Bewegungen im Mittelalter, die seit dem 11. Jahrhundert immer wieder im Armutsideal eine Rückbesinnung auf die christlichen Ursprünge sahen. Aber anders als etwa die ebenfalls wirkmächtigen Waldenser oder Katharer wurden Franziskus und seine Brüder nicht zu Ketzern. Es gelang der Bruderschaft, nicht aus der Kirche ausgegrenzt, stattdessen von ihr anerkannt zu werden.
Die Absicht der Päpste
Dies ist auch ein zentraler Gesichtspunkt für den französischen Mittelalter-Historiker Jacques Le Goff (1924–2014), der sich fast vier Jahrzehnte mit diesem im Mittelalter so populären Heiligen befasst und ihm eine lesenswerte Monografie gewidmet hat. Le Goff hebt hervor, wie schwierig es für Franziskus war, zunächst den Bischof von Assisi von der Rechtmäßigkeit seines Handelns zu überzeugen. Entscheidend sei schließlich die Unterstützung der Päpste gewesen, die in Franziskus „ein wirksames Mittel für die Erneuerung der Kirche sahen“, betont auch Thomas Freidel. Die römische Kurie habe letztlich großes Interesse daran gehabt, das „gewaltige Potenzial dieser neuen Bewegung“ zu nutzen – dies insbesondere in einer Zeit der Verstädterung, großer ökonomischer Verwerfungen und wachsender Armut. Außerdem sei es im Mittelalter üblich gewesen, den beim Volk hochverehrten Persönlichkeiten, die als heilig galten, große Grabeskirchen zu errichten.
Freidels auch in schriftlicher Form niedergelegte Führung, die eigentlich eine Mischung aus kunsthistorischen Erläuterungen, Predigt und Glaubensbekenntnis darstellt, trägt nicht umsonst den Titel: „…und verkündet aller Kreatur…“ (Kunstverlag Josef Fink).
Zentral für sein Franziskus-Verständnis ist das berühmte Fresco der Vogelpredigt. Es ist eine der bekanntesten Darstellungen und prägte eine ganz bestimmte Deutung des Heiligen: Franziskus als Freund und Patron der Tiere und der Natur, der zur Bewahrung der Schöpfung aufruft. Nicht von ungefähr hat ihn Papst Johannes Paul II. 1980 zum „Patron des Umweltschutzes und der Ökologie“ erklärt. Welcher Heilige könnte aktueller sein angesichts der so hitzig geführten Debatte um eine drohende Klimakatastrophe, angesichts von Wald- und Artensterben?
Natur mit der Bibel
In seiner wohl berühmtesten Dichtung, dem Sonnengesang, verwendet Franziskus Ausdrücke wie „Bruder Wind“ und „Schwester Wasser“. Dennoch möchte Thomas Freidel diesen durchaus für heutige Themen massentauglichen Heiligen nicht auf die Rolle des Naturfreaks verkürzt sehen. Das berühmte Fresco zeige ihn schließlich mit der Bibel in der Hand. Das verweist auf die Aussendung der Apostel, den Auftrag, das Evangelium allen Geschöpfen zu verkünden. Nicht nur dies nimmt Freidel als Beleg dafür, dass Franziskus hier dargestellt wird als jemand, der Christus in der Verkündigung nachfolgen wollte. Das der Vogelpredigt gegenüberliegende Bild zeigt überdies die Kreuzabnahme, also die zentrale Botschaft des christlichen Glaubens von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Die Hinwendung zur Schöpfung ist für Franziskus eine Antwort auf die Frage nach Gott. Hier, in der Verbindung von Schöpfer und Schöpfung, fand der Heilige dessen Spur. Wenn Franziskus auch Gott selbst nicht sehen konnte, so sehe er doch das, was er geschaffen hat – in seiner Schönheit, Vielfalt und Größe, so Freidels Schlussfolgerung.
Daraus lässt sich ein Kennzeichen des Franziskuswegs auch für heute ableiten. Seine Wegmarken laden ein, anhand der Spuren, die der Heilige hinterlassen hat, ein authentisches Christenleben nachzuvollziehen.