Polen sorgt seit einigen Jahren nicht nur für positive Schlagzeilen. Dabei kann man das Land, das 1999 der Nato und 2004 der EU beitrat, als europäischen Musterknaben bezeichnen. Nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Zwangsgemeinschaft setzte in Polen ein Prozess der umfassenden Demokratisierung ein, dem nach und nach ein echter Wirtschaftsaufschwung folgte. So lässt sich mittlerweile die Arbeitslosenquote in Polen – bei freilich knappen Löhnen – mit der niedrigen Quote in Deutschland gut vergleichen.
Die negativen Schlagzeilen betreffen zumeist das Handeln der ultrakonservativen PiS-Regierung, deren Name „Recht und Gerechtigkeit“ meint. In den Augen ihrer polnischen wie westlichen Kritiker unterläuft die Regierungspartei zunehmend diese Ideale, etwa indem sie die Unabhängigkeit der Gerichte und die Vielfalt der öffentlich-rechtlichen Medien trickreich einschränkt. Für ihre Anhänger stellt die Regierungspartei die lang ersehnte Alternative zu den „alten“ Parteien dar, setzt sie doch ihr Augenmerk auf die Belange des „kleinen Mannes“ und der nationalen Interessen.
Es ist somit eine komplexe Gemengelage, die Gerhard Gnauck, Osteuropa-Kenner und Polen-Korrespondent der „Frankfurter Allgemeinen“, für den deutschen Leser zu entwirren hat. Beherzt greift er wesentliche Momente der polnischen Geschichte auf, zuvörderst das Bestreben, sich aus der (Dauer-) Umklammerung durch die benachbarten Großmächte zu lösen. „Auferstanden aus Ruinen“ und „Demokratie – der erste Versuch“, so sind die Kapitel überschrieben, die sich auf das Jahrzehnt nach „1918“ beziehen, da Polen nach einem Jahrhundert der „Teilungen“ wieder als eigenständiger Staat in Erscheinung trat. Doch bald schon folgten das „Inferno“ und nach 1945 die bleiernen Jahre des Kommunismus.
Wer Polen verstehen möchte – und das ist das schöne Ziel des Buches –, muss diese Abfolgen kennen. Nur so wird er die bunte Mischung aus Freiheitsstreben, Nationalismus und Kirchenbindung begreifen, die für viele im Westen so verwirrend scheint. Dass mit dem Umbruch des Jahres 1989 „für Polen die beste Zeit in seiner Geschichte seit einem Vierteljahrhundert“ begann, steht außer Zweifel. Warum aber manche Wunden nur schwer verheilen und die PiS-Regierung dem Land und Europa wahrscheinlich noch eine Weile erhalten bleibt, das erklärt Gnauck präzise, lesbar und informativ.