Zum "synodalen Weg"Überrascht uns endlich!

Diesem Anfang wohnt noch kein Zauber inne: Der „synodale Weg“ zur Erneuerung der Kirche wird vorbereitet, als hätten wir alle Zeit der Welt. Dementsprechend sind die Erwartungen an der Basis gering. Aber wo, wenn nicht in der Nachfolge Jesu, wäre Raum für Wunder?!

Stell dir vor, es ist „Synode“ – und keinen interessiert’s. Das mag vielleicht ein bisschen hart formuliert sein, aber ist es nicht so? Nur die wenigsten empören sich noch über den Reformstau durch die jahrzehntelangen Blockaden seitens des Lehramts. Die meisten, gerade die Engagierten und Wohlmeinenden, sind kurz davor, ihrer Kirche schlicht die Reformfähigkeit abzusprechen und ihr enttäuscht den Rücken zu kehren. Allzu oft wurden sie schon hingehalten und vertröstet. Andere sind längst resigniert abgetaucht, in die innere Emigration geflüchtet. Insbesondere das, was „amtskirchlich“ – ob von Klerikern oder von Laien – debattiert wird, interessiert sie nicht mehr.

Ist das nur etwas, das sich Journalisten am Schreibtisch ausdenken? So tönt es ja gern aus konservativen Kreisen. Die katholische Kirche dürfe die Tradition nicht über Bord werfen, nicht dem Zeitgeist hinterherlaufen, heißt es weiter. Die wahrhaft Gläubigen wollten außerdem gar keine Reformen, die Abschaffung des verpflichtenden Zölibats für Gemeindepriester etwa.

Machen wir den Praxistest: Der Autor dieser Zeilen war zu Gast in einer kleinen Pfarrgemeinde. Er wurde eingeladen, um über die Thesen zur Erneuerung von Glaube und Kirche zu sprechen, die die Redaktion aus Anlass des Reformationsjubiläums vorgelegt hatte (vgl. CIG Nr. 44/2017, S. 483). Man wird dem Weinbauort sicher nicht unrecht tun, wenn man ihn nicht gerade als Hort der Revolution bezeichnet. Im Rathaus sind nur zwei Parteien vertreten: CDU und Freie Wähler. Die Menschen hier sind im positiven Sinne bürgerlich. Und doch war der Pfarrsaal rappelvoll, und das an einem schönen Sonntag. Man könnte sich gewiss andere Arten der Abendgestaltung vorstellen, und sei es nur das „Tatort“-Schauen. Aber die Menschen hier wollen etwas, ihnen liegt ihre Kirche am Herzen. Und zugleich erleben sie gerade die x-te Strukturreform in ihrem Bistum. Wieder einmal werden die Pfarreien an die Zahl der immer weniger vorhandenen Priester angepasst – allein aus dem Grund, weil das Kirchenrecht keine reguläre Möglichkeit einräumt, dass auch qualifizierte Laientheologen die Gemeindeleitung übernehmen.

Alles schon entschieden?

Was das für die Menschen bedeutet? Sie haben das hier ja alles schon mehrfach durchgemacht. Es wird wieder ein Stück weniger werden: Weniger Eucharistiefeiern, den Pfarrer wird man noch seltener zu sehen bekommen. Um ein Seelsorgegespräch traut man den Gestressten ohnehin kaum mehr zu bitten… Die Wege werden weiter. Die Feiertage können nur noch alle paar Jahre „richtig“, also in der eigenen Kirche und zum tatsächlichen Zeitpunkt im Kirchenjahr, gefeiert werden… Und das soll die Zukunft sein, den Aufschwung bringen? Sicher, auch bei dieser neuen, schönfärberisch „Reform“ genannten Umstrukturierung sollen die Menschen vor Ort „gehört“ werden, wie es von offizieller Seite formuliert wird. Doch die Leute glauben auch das nicht mehr. „Das ist doch schon alles entschieden“, sagt einer frustriert. Nur ein Einzelfall, eine einzelne Stimme?

Die Erwartungen an den „synodalen Weg“ sind jedenfalls hier im Markgräfler Land sehr gering. Anderswo dürfte es ähnlich aussehen. Es ist ja beileibe nicht so, dass die Menschen nicht generell offen für solche Prozesse wären. Aber wie oft haben sie erlebt, dass Gesprächsforen mit großen Hoffnungen angekündigt wurden – und letztlich folgenlos blieben. Erinnert sei an die Diözesansynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, an die Würzburger Synode, an die Dresdner Pastoralsynode der katholischen Kirche in der DDR, an den bundesweiten Gesprächsprozess von 2011 bis 2015 nach dem ersten Bekanntwerden sexueller Gewalt durch Geistliche. Überall wurden gute theologisch begründete Texte formuliert. Aber entschieden wurde praktisch nichts. Veränderungen, wirkliche Reformen – Fehlanzeige!

Wem ist es da zu verdenken, dass er skeptisch ist, wenn es jetzt heißt, diesmal würden aber endlich alle Themen auf den Tisch kommen, „vorbehaltlos“ und „auf Augenhöhe“ besprochen werden. Zumal die Bischöfe den aktuellen Dialogprozess nicht in euphorischer Aufbruchstimmung oder aus Lust am gemeinsamen Gestalten begonnen haben! Sie wurden vielmehr „zum Jagen getragen“. Der „synodale Weg“ ist ja ausdrücklich eine Reaktion auf die Veröffentlichung der sogenannten MHG-Studie zum massenhaften sexuellen Missbrauch im Raum der Kirche. Liegt da nicht der Verdacht nahe, dass es bloß Sinn und Zweck dieses Prozesses ist, die Basis zu beruhigen, ja ruhigzustellen? Genau das befürchten beispielsweise auch die Verantwortlichen der Protestbewegung „Maria 2.0“. Sie haben die Einladung zur Mitwirkung am „synodalen Weg“ ausgeschlagen.

Als professioneller Beobachter ist man freilich verpflichtet, sich dem Ganzen vorurteilsfrei zu nähern. Deshalb seien zunächst noch einmal die Eckdaten genannt. Der „synodale Weg“ soll mit dem neuen Kirchenjahr am ersten Advent beginnen, er ist auf zwei Jahre angelegt. In dieser Zeit will man sich in einzelnen Gesprächskreisen treffen. Festgelegt wurden dazu zunächst die Themen „Macht“, „Sexualmoral“ und „priesterliche Lebensform“. Nachträglich wurde noch ein viertes Forum zur Rolle der Frau in der Kirche eingerichtet. Die Leitung der Gesprächskreise übernimmt jeweils eine „Doppelspitze“ aus einem Bischof und einem Laienvertreter. Zusätzlich zu den Treffen in den einzelnen Gruppen soll es im Frankfurter Kaiserdom Plenarsitzungen aller Teilnehmer geben – im Kern sind dies die Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Der Franziskus-Brief

Noch ist vieles unklar. Doch bereits jetzt gibt es Kritik am „synodalen Weg“. Und sie ist weitaus ernster als der Hinweis, dass der Name des Prozesses ja eine sinnfreie sprachliche Dopplung aufweist. Im griechischen Syn-odos steckt ja schon der „Weg“ drin. Strenggenommen haben die Verantwortlichen also zu einem „gemeinsamen Weg-Weg“ aufgerufen. Doch geschenkt: Man hat diese Bezeichnung ja vor allem deshalb gewählt, weil man vor dem Begriff „Synode“ und der rechtlichen Entscheidungsverbindlichkeit zurückschreckte. Eine solche Kirchenversammlung kann und soll es nicht sein.

Damit sind wir mitten bei den inhaltlichen Bedenken, die natürlich schwerer wiegen als die sprachlichen Verrenkungen. Was genau ist der Status und die Kompetenz dieses Forums? Was können die Bischöfe und katholischen Laienvertreter tatsächlich entscheiden? Offenbar nicht allzu viel. Auch Papst Franziskus, eigentlich ein Fürsprecher der Synodalität, hat die Reformer zuletzt merklich ausgebremst. In einem Brief an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ (vgl. CIG Nr. 27, S. 290) fand er vor allem mahnende Worte. Er warnte vor „Eigenbrötelei und ideologischen Tendenzen“. Der synodale Prozess müsse ein gemeinsamer Weg „mit der ganzen Kirche unter dem Licht des Heiligen Geistes“ sein. Welche Punkte dabei entschieden werden können, müsse „sicherlich noch tiefer in Betracht gezogen werden“. Und kürzlich legte Franziskus I. erneut nach. „Eine Synode ist kein Parlament“, sagte er anlässlich der Versammlung der griechisch-katholischen Kirchenführer der Ukraine (CIG Nr. 36, S. 398). Ein solches Treffen dürfe nicht als eine Meinungserhebung mit anschließenden Kompromissen verstanden werden.

Das Totschlag-„Argument“

Das sind eher ungewohnte Akzente des Papstes. Da ist nichts mehr von den ermutigenden Worten vom Beginn seiner Amtszeit, als er noch erklärte: „Synodalität! So will Gott die Kirche im dritten Jahrtausend.“ War alles doch nicht so gemeint? Hat Franziskus I. seine Meinung geändert? Oder muss er dem Druck der Gegenkräfte in der Kurie nachgeben? Will er vielleicht einfach sein eigenes Reformprojekt, das mit der vatikanischen Amazonas-Synode im nächsten Monat verbunden ist, nicht durch „Störfeuer“ aus Deutschland gefährden lassen?

Kritiker von zu viel Laien-Mitbestimmung und Veränderung gibt es selbstverständlich auch hierzulande, und es sind tatsächlich die „üblichen Verdächtigen“. Zuletzt positionierte sich der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki gegen den synodalen Prozess. Argumentativ bezog er sich dabei auf Begegnungen während seiner jüngsten Amerika-Reise. In vielen Gesprächen dort sei die Sorge vor einem deutschen Sonderweg zu spüren gewesen, „dass wir schlimmstenfalls sogar die Gemeinschaft mit der Universalkirche aufs Spiel setzen und zu einer deutschen Nationalkirche werden“, so der Kardinal. „Das kann niemand wollen, und wir sollten die Warnung sehr ernst nehmen.“ In vielen Begegnungen sei ihm das Unverständnis darüber vermittelt worden, „dass wir in Deutschland bereit scheinen, das uns anvertraute Glaubensgut mutwillig zu verändern, weil es lautstark von uns gefordert wird“.

Nun wäre es interessant zu erfahren, was hier mit dem „anvertrauten Glaubensgut“ gemeint ist. Die Ehelosigkeit der Priester wird der Kardinal sicher nicht dazu zählen (wenn es ihm um eine ehrliche Argumentation geht). Schließlich ist das ja reines Kirchengesetz, das auch verändert werden kann. Und ihm wird natürlich bewusst sein, dass es in weiten Teilen der mit Rom verbundenen Ostkirchen verheiratete Priester gibt. Haben die etwa alle das vermeintliche „Glaubensgut“ mutwillig verändert?

Grundsätzlich ist auch das Gespenst der Spaltung, das den „Bewahrern“ regelmäßig als Totschlag-„Argument“ gegen jede Reform dient, zu hinterfragen. Als ob die Kirche nicht längst gespalten wäre! Mit ihren Quertreibereien gegen die Mehrheit der Kollegen im bischöflichen Amt – etwa letztes Jahr beim „Kommunionstreit“ und eben jetzt vor dem „synodalen Weg“ – belegen sie ja gerade das, wogegen sie zu kämpfen vorgeben. Und überhaupt: Welche Einheit wollen die Traditionalisten denn? Die Einheit in Vielfalt ist es jedenfalls nicht, eher schon eine bleierne Uniformität. Dass dies dem Leben und den Menschen gerecht wird, darf jedoch bezweifelt werden. Aber das scheint ihnen nicht so wichtig zu sein, wenn sie nur im Besitz dessen sind, was sie als „Wahrheit“ erkannt haben. Wohin das aber letztlich führt, hat der ehemalige Politiker Hans-Jochen Vogel kürzlich auf den Punkt gebracht. „Wollen wir Katholiken eine große gesellschaftliche Bewegung bleiben?“, fragte er. „Oder wollen wir schrumpfen auf eine kleine, extrem konservative Gruppe, die ihren Einfluss verliert?“ Der Kampf um den „synodalen Weg“ hat also längst begonnen.

Kirchenleute unter sich

Kritisch ist allerdings zu sehen, wer überhaupt bei den Foren mitdiskutieren darf. So hat der Präsident des Deutschen Caritasverbands, Peter Neher, zu Recht die mangelnde Transparenz bei der Auswahl der Teilnehmenden kritisiert. Tatsächlich stellt sich der Eindruck ein, dass man im Wesentlichen unter sich bleiben will. Aber verzichtet man dadurch nicht auf jede Menge Expertise? „Wie können wir mit Menschen in Dialog kommen, die sich zuletzt von Kirche und Glaube abgewandt haben oder noch nie dazu einen Zugang hatten? Dieser Blick vom Rand oder von außen wäre sehr wichtig“, so Neher. Den Kreis kann man ruhig weiter ziehen. Was ist mit Persönlichkeiten wie einem Ulrich Khuon, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin? Was mit dem Philosophen Peter Sloterdijk? Warum diskutiert kein Arnold Stadler mit, kein Martin Walser? Die Stimmen solcher kritischer Zeitgenossen würden dem Gesprächsprozess guttun, wenn er als Ergebnis nicht nur strukturelle Kosmetik bringen soll.

Womit man schließlich beim Punkt wäre, was realistischerweise am Ende herauskommen kann. Natürlich, ein Gespräch bleibt niemals ganz ohne Folgen. Allein schon, weil es die Teilnehmenden verändert. Und nicht zu unterschätzen ist sicherlich auch, dass man auf diese Weise ein Dialog-Instrument einübt, das in der Weltkirche seinesgleichen sucht. Wenn denn jemals „in Rom“ eine Öffnung in die eine oder andere Richtung beschlossen wird, ist man hierzulande parat, hat bereits die Strukturen, um die Dinge umzusetzen.

Bitte auch wirklich streiten!

Aber kann das wirklich alles sein? Wäre es der große Wurf, wenn wir die eine oder andere Ordinariatsrätin mehr hätten? Selbst wenn die Gemeindeleitung durch Laien käme: Was heißt denn Leitung, wenn für die Eucharistiefeier, für die Sakramentenspendung, ja selbst für die Predigt in der Messfeier weiterhin ein Priester „eingeflogen“ werden müsste? Die Reformen dürfen nicht bei den kircheninternen Strukturen stehen bleiben. Genau das ist jedoch zu befürchten. Zuletzt enttäuschte Kardinal Reinhard Marx vor allem die Frauen, als er sich in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hinsichtlich der Priesterweihe für Frauen auffallend defensiv äußerte. Er sehe nicht, „wie wir heute theologisch beiseitelegen können, was Papst Johannes Paul II. 1994 endgültig festgelegt hat: ‚dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden‘. Das ist entschieden.“ Selbst dass Frauen und Nichtgeweihte bei Bischofssynoden mitentscheiden, kann sich der Kardinal nicht vorstellen. Das lasse das Kirchenrecht wahrscheinlich nicht zu. „Doch es ändert ja schon die Perspektive, wenn zuvor Frauen und Männer gemeinsam diskutiert haben.“ Ob das wirklich reicht? Immerhin weist Marx in dem Interview darauf hin, dass es zu unterscheiden gelte, welche Inhalte unverzichtbar zum Glauben gehören und welche dagegen „zeitbedingt sind und… der Verkündigung des Evangeliums im Weg stehen“. Damit deutet er doch eine gewisse Offenheit für Reformen an.

Vielleicht überraschen uns die „Synodalen“ ja noch, indem sie mutig entscheiden und auch kämpferisch in den Konflikt mit den Traditionalisten gehen. Im Schreiben „Gaudete et exsultate“ über „den Ruf zur Heiligkeit in der Welt von heute“ forderte Papst Franziskus letztes Jahr von den Gläubigen genau diese Parrhesia, diesen Wagemut. „Die Gewohnheit verführt uns und behauptet, dass es keinen Sinn habe, etwas zu ändern zu versuchen, dass wir angesichts dieser Situation nichts tun können, dass es immer so gewesen ist… Lassen wir doch zu, dass der Herr kommt, um uns aufzuwecken, um uns in unserer Schläfrigkeit einen Ruck zu versetzen, um uns von der Trägheit zu befreien. Bieten wir der Gewohnheit die Stirn, öffnen wir weit unsere Augen und Ohren, vor allem aber das Herz, um uns bewegen zu lassen durch das, was um uns herum geschieht, und durch den Ruf des lebendigen und wirkmächtigen Wortes des Auferstandenen.“

Wir laden unsere Leserinnen und Leser herzlich dazu ein, sich an der Diskussion über den Synodalen Weg zu beteiligen.

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