Immer noch ist innerkirchlich von „Berufungspastoral“ meistens so die Rede, als ginge es dabei bloß um Priester und Ordensleute. Aber diese klerikale Fixierung auf die Ämter verdeckt, dass jeder Mensch eine einzigartige, unverwechselbare Geschichte und Berufung hat. Der in Paris lehrende Jesuit Christoph Theobald unterscheidet erfreulich klar zwischen diesem Lebensglauben, auf den jeder Mensch ansprechbar ist, und dem spezifisch christlichen Glauben in der Nachfolge Jesu. Die Grundlage ist das Zutrauen, dass das Leben sich lohnt – oder wenigstens lohnen möge.
Aufgrund seines jahrzehntelangen Wirkens in theologischer Lehre und geistlicher Begleitung junger Erwachsener geht Theobald der Berufungserfahrung nach, die den Weg erwach(s)ender Menschwerdung charakterisiert und ihm christlich eine bezeichnende Fassung gibt. Alles entscheidend ist das Hören auf die eigene Lebensstimme, auf den Ruf zum „Sein-Können“. Zu entdecken ist die Einmaligkeit des Lebens und darin auch die Entscheidung, sich für etwas einzusetzen und „sein Leben aufs Spiel zu setzen“ (im Wort „Engagement“ steckt das Wort Gage).
Auf diesem Weg in die Freiheit und Lebensfülle braucht es die Kraft zu notwendigen Trennungen, die Unterscheidungskraft zwischen Vorläufigem und Endgültigem und stets den Mut, andere um Rat zu fragen und sich auf seiner Reise begleiten zu lassen. Allein und in bloßer Innerlichkeit geht es nicht, zu verwirrend sind die egoistischen Antriebe und die bösen Widrigkeiten, die auch von früher und außen auf einen eindringen.
Das Buch dokumentiert einladend, wie sehr wir andere Menschen brauchen, die uns überzeugen. Aber abgründig grundlos und schier unglaublich ist doch immer, dass ich bin und werden darf. In der christlichen Berufung bekommt all dies einen besonderen Glanz: „Dein Glaube hat dir geholfen.“ Dieses Geheimnis des Menschwerdens wirklich offenbar werden zu lassen, ist der Sinn des Christlichen und ermöglicht ganz lebenspraktisch die Unterscheidung der Geister.
In der Flut von Glaubens- und Berufungsbüchern finde ich derzeit keines, das derart feinfühlig und reflektiert, derart alltagsnah wie bibelsatt einführt in das Gottgeheimnis des Menschseins. Auf jeder Seite ist das „brennende Interesse am Alltag der Menschen“ spürbar, das dem Wirken Jesu entspricht. Hervorgehoben sei mit dem klar herausgearbeiteten Inhalt auch Theobalds schlichte Sprache, die wohltuend frei ist von kirchlichem Binnenjargon. Ein sehr gut lesbarer Gesamtentwurf, der auch in kurzen Abschnitten meditiert und geteilt werden kann. Wie viel doch aus französischer Theologie und Kirche zu lernen ist – dank hervorragender Übersetzung erst recht!