Angriffe auf Juden, Schmierereien an Synagogen, Mythen über eine „jüdische Weltverschwörung“ – Antisemitismus hat viele Gesichter. Und seine Wurzeln reichen weit zurück. Mit ihrem umfangreichen Werk zeichnen die norwegischen Historiker Trond Berg Eriksen, Hakon Harket und Einhart Lorenz die Geschichte des Judenhasses von der Antike übers Mittelalter bis in die Gegenwart nach. Die Gelehrten werfen dabei in kurzen Kapiteln und in verständlicher Sprache Schlaglichter auf das Leben von Diaspora-Juden in verschiedenen Kulturen und zeigen eindrucksvoll, wie sich das immer gleiche Muster aus Verdächtigung, Diskriminierung und Vertreibung von Jahrhundert zu Jahrhundert wiederholte. Und wie es manchmal sogar zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wurde. „Verfolgung und Vertreibung wurden als Argument gegen die Juden verwendet“, heißt es bei Berg Eriksen. „Überall waren sie hinausgeworfen worden, aus Frankreich, England und Spanien. Konnte das ein Zufall sein?“
Auch wenn die Autoren die Entwicklung des Antisemitismus weit über den kirchlichen Rahmen hinaus in den Blick nehmen, ist es besonders eindrucksvoll, das Verhältnis der Kirche zum Judentum im Lauf der Jahrhunderte zu verfolgen. Zunächst wird anschaulich dargestellt, wie es zwischen den beiden monotheistischen Religionen von Anfang an zu Konflikten kam. Dass Christen und Juden für sich einen Bund mit demselben, einzigen Gott in Anspruch nehmen, ist für Berg Eriksen ein Vorläufer des „prinzipiellen Antisemitismus“. Auch im hundertseitigen Abschnitt über den Holocaust, wie zu erwarten einer der Schwerpunkte des Buches, findet sich ein ganzes Kapitel zur schwierigen Rolle der katholischen Kirche – überschrieben mit „Der Wille zur Ohnmacht“.
Am Ende zeichnen die Autoren auf vergleichsweise wenigen Seiten ein Bild von den Herausforderungen, denen sich moderne Juden stellen müssen. Und werfen dabei eine Reihe spannender Fragen auf: Wie funktionieren antisemitische Verschwörungsmythen in Zeiten von sozialen Medien? Welche Rolle spielt zugewanderter Judenhass aus muslimischen Kulturkreisen? Wann ist Kritik an Israel als Staat zulässig, und wann geht sie zu weit? Alles hochaktuelle Fragen, die eigene Regale füllen könnten und hier naturgemäß nicht abschließend beantwortet werden können. Für einen ersten Überblick, der die historischen Dimensionen nie aus dem Blick verliert, ist das Buch aber bestens geeignet.
Fest steht: Der europäische Antisemitismus hat bis ins 21. Jahrhundert überdauert. Oft unterschwellig, versteckt in abwertenden Parolen oder haltlosen Vorwürfen in Internetforen. Aber weiter verbreitet, als man denkt. „Die Geschichte, die zwischen diesen Buchdeckeln erzählt wird, ist nicht abgeschlossen“, heißt es in einem gemeinsamen Kapitel. Man möchte hinzufügen – leider.