Der schreibende Pfarrer Hermann Wohlgschaft aus dem Bistum Augsburg ist bekannt unter anderem als Karl-May-Experte. Über ihn hat er eine Biografie verfasst. Von Wohlgschaft stammt ebenfalls eine dreibändige „Kulturgeschichte der Liebe“. Seine Doktorarbeit schrieb er über den evangelischen Theologen Karl Barth.
Mit 75 Jahren legt der (Un-)Ruhestandsseelsorger nun Gedanken zur dringend notwendigen Reform der katholischen Kirche vor. Es gebe keine Ausflüchte mehr. Man kann den Band als Forderungskatalog bezeichnen, da jedes der zwölf Kapitel mit „Gefordert“ überschrieben ist und konkrete Vorschläge macht. Seine theologische Verortung bekennt Wohlgschaft gleich zu Anfang: „Zwar bin ich kein Schwärmer, aber die Konzilsjahre waren für mich eine Art Offenbarung.“
Entsprechend der traditionellen Anordnung dogmatischer Traktate entwirft der Autor in den ersten beiden Kapiteln eine theologische und christologische Grundlegung. Im Horizont seiner Überlegungen steht die Annahme, dass Gott zugleich „unauslotbares Geheimnis“ sowie „reine (wenn auch jetzt noch verborgene) Liebe“ ist. Die Transzendenz Gottes bringt er immer wieder gegen allzu fixierte Gottesbilder in Stellung. Weil dieser Gott sich in Jesus von Nazareth über alle Maßen als konkrete Liebe gezeigt habe, wird eine „Rückbesinnung auf Jesus“ gefordert. Dazu zähle die Bereinigung des Neuen Testaments von zeitbedingten Aussagen. Ebenso appelliert Wohlgschaft an die persönliche Christus-Erfahrung eines jeden Gläubigen.
In den folgenden Kapiteln finden sich anschauliche Reformforderungen. Einiges davon ist handfest strukturell wie etwa eine Freistellung des Zölibats in der gesamten katholischen Kirche, die Weihe von Frauen oder eine Verwaltungsgerichtsbarkeit zugunsten kirchlicher Gewaltenteilung. Anderes wirkt grundsätzlicher und gewichtiger wie die Forderung nach einer Vertiefung des Glaubensverständnisses. Am Beispiel des Dogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel zeigt der Verfasser auf, was es bedeutet, zeitbedingte dogmatische Formulierungen auf ihren „wahren“ Kern im Heute hin zu befragen. Weitere Themen sind der Kampf gegen den sexuellen Missbrauch und die verschiedenen Formen von Gewalt in der Kirche, Ökumene und interreligiöse Zusammenarbeit sowie eine erneuerte Sexualethik.
Hermann Wohlgschaft schreibt verständlich, ohne seinen theologischen Anspruch aufzugeben. Mit „Keine Ausflüchte mehr!“ liegt eine Sammlung fundierter und doch nicht minder scharfer Reformthesen vor, die sich wohltuend von mancher kursierenden, eher politisierend-kurzgesprungenen Kirchenkritik abhebt. Jonas Mieves