Mit zunehmender Säkularisierung und Verdrängung der üblichen religiösen Bilder und Rituale entstehen ersatzreligiöse Vorstellungen, die ihre je eigene Anziehungskraft besitzen und ihren Platz beanspruchen. Die Kunsthalle Bremen hat sich dieser spannungsreichen Entwicklung angenommen und präsentiert (bis 1. März 2020) die Ausstellung „Ikonen“. Dabei ist mit dem Wort genauso das religiöse Andachtsbild, das im byzantinisch-orthodoxen Kulturkreis beheimatet ist, gemeint wie auch die „Ikonen“ der Moderne: Kunstwerke (zum Beispiel Mona Lisa), Filmschauspieler (Marylin Monroe), Popstars und andere „Sternchen“ mit Kultcharakter. Das Kunstwerk des schwarzen Amerikaners Kehinde Wiley zeigt den New Yorker Hip-Hop-Tänzer Malak Lunsford in einer goldenen, barocken Andachtsbildern nachempfundenen Darstellung. Die sich rankenden Blumen, sonst Teil von Madonna-mit-Kind-Malerei, betonen die Bedeutung und Ausstrahlung der modernen Ikone des Hip-Hop. Das Kunstwerk kritisiert zugleich die kunsthistorische Tradition religiöser Bildwerke, die nur einen Kontext zulässt, der ausschließlich Künstler mit weißer Hautfarbe kennt. Was – oder wen – beten wir an? Die Antike kannte zwei Begriffe für „Bild“: Mit eikon wurde das Bild allgemein bezeichnet. Davon unterschieden wurde eidolon, was „Trugbild, Traumbild“ bedeutet. Die Bremer Ausstellung belegt eine hochaktuelle Fragestellung, in der die religiöse frömmigkeitsgeschichtliche Bilderverehrung thematisiert wird genauso wie die säkulare Ikonisierung, also eine „Heiligsprechung“ ohne religiösen Zusammenhang.