Zukunft: gemacht, aber anders als gedacht

Der Zukunftsforscher Michael Carl warnt davor, Prognosen zu sehr auf einzelne Trends zu stützen. Frühere Generationen von Wissenschaftlern hätten ihre Zukunftsvisionen zu oft nur an einer einzigen technologischen Neuerung festgemacht, die strikt weitergedacht wurde. „Es gab zum Beispiel Vorstellungen, wofür Atomkraft alles gut ist“, sagte Carl in der „Welt“. „Heute wird man sagen müssen: Zum Glück haben sich viele Dinge nicht materialisiert. Atombetriebene Autos etwa.“ Stattdessen müsse man immer verschiedene Entwicklungen im Blick behalten und mit unterschiedlichen Ergebnissen rechnen. „Ich glaube, dass es ein wesentlicher Lernschritt ist, in unterschiedlichen Zukünften zu denken – sowohl gesellschaftlich als auch persönlich.“

Das gilt umso mehr, als das Leben des Einzelnen heute frei ist wie selten zuvor. War die Zukunft bis vor wenigen Generationen weitgehend durch äußere Einflüsse vorherbestimmt – sie galt als von Gott oder der Gesellschaft festgelegtes Schicksal –, haben junge Leute heute mehr Möglichkeiten, ihr Leben selbstständig zu planen. „In einer individualisierten Welt wird die Verantwortung aber auch zur Last“, beschreibt der Wiener Zukunftsforscher Matthias Horx die Kehrseite der freiheitlichen Erfahrung. „Früher wurden die Menschen verheiratet. Sie waren Teil einer Klasse, einer Schicht, einer Hierarchie, die ihnen sagte, wo es langgeht.“ Heute müssen diese Entscheidungen weitgehend allein getroffen werden.

Diese neue Wahlfreiheit überfordere viele Menschen und führe zu großen Zukunftsängsten. Dabei gibt es aus statistischer Sicht kaum Gründe zur Sorge, Lebensqualität und Lebensstandard waren noch nie so hoch wie heute. Auch die Gefahr eines Krieges in Europa ist heute so gering wie nie. Nur der Klimawandel könnte zu langfristigen Problemen führen, deren Folgen sich noch nicht klar absehen lassen. Hier müssten die Menschen sich trauen, sich zu engagieren, die Entwicklungen aktiv mitzugestalten. „Die Zukunft findet nicht getrennt von uns statt“, betont Horx. „Sie kommt nicht über uns“ – sie wird gemacht. Und oft kommt es doch anders als gedacht.

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