Vor kurzem hat Georg Gänswein, der Präfekt des päpstlichen Hauses im Vatikan, noch einmal unfreiwillig die Werbetrommel gerührt. Der Dokumentarfilm über Papst Benedikt XVI., dessen Privatsekretär Gänswein ist, sei „eine Sauerei“. Vor diesem „nicht objektiven“, „miserablen“ Werk könne er nur warnen. Diese Kritik dürfte jedoch tatsächlich noch einmal mehr Menschen ins Kino locken nach dem Motto: Wenn einer aus dem innersten Kern der Institution derart scharf reagiert, muss wohl etwas „dran“ sein.
Die massenhafte sexuelle Gewalt in der Kirche ist ja auch etwas, das sie im Kern erschüttert. „Lasst die Kinder zu mir kommen“, soll Jesus laut drei von vier Evangelien gesagt haben. Viele, die vorgaben, ihm nachzufolgen, haben diese wertschätzende Aussage jedoch auf höllische Weise pervertiert. Priester und Ordensleute nutzten ihre Verantwortung für Kinder und Jugendliche aus und fügten ihnen Leid zu, das diese oft ein Leben lang mit sich tragen. Ihre Vorgesetzten schauten weg oder haben sogar aktiv vertuscht – weil sie meinten, das Antlitz der „heiligen“ Kirche sei wichtiger als die Opfer.
Christoph Röhl ist überzeugt, dass die traditionelle Verfasstheit der Kirche die Missbrauchsverbrechen zumindest begünstigt hat und dass dies an der Person Joseph Ratzingers wie in einem Brennglas deutlich wird. Solchen systemischen Ursachen sexueller Gewalt ist der Regisseur bereits mit zwei Filmen über die reformpädagogische Odenwaldschule nachgegangen – dies nur als Hinweis für all jene, die behaupten, es werde bei dem Thema immer nur die Kirche an den Pranger gestellt. Nun jedenfalls hat der Filmemacher den früheren Papst in den Mittelpunkt seiner Dokumentation gestellt: „Verteidiger des Glaubens“ (jetzt im Kino).
Der Titel ist Programm. Er drückt aus, wie sich Joseph Ratzinger mit großer Wahrscheinlichkeit selbst stets gesehen hat und was ihm das zentrale Anliegen war. „Seine“ Kirche – eindeutig in der Lehre, schön in der Liturgie und hierarchisch in klarer Ordnung gegliedert – sollte das Bollwerk gegen die „Diktatur des Relativismus“ sein. Als „Cooperator Veritatis“, als Mitarbeiter an der Wahrheit, verstand er sich. Mit dieser persönlichen „Voreinstellung“ reagierte Joseph Ratzinger letztlich auch auf den Missbrauchsskandal. Er ging gegen das Übel vor, das ist unbestritten. Er widerstand den korrupten Verlockungen des Apparates, auch das stellt der Film heraus. Aber Ratzinger, das wird durch den Film ebenfalls deutlich, hätte womöglich noch besser, entschiedener handeln können, wenn sein Hauptaugenmerk stärker auf das Martyrium der Opfer ausgerichtet gewesen wäre.
Mit viel Archivmaterial und aktuellen Interviews zeichnet Röhl Ratzingers Lebensweg und kirchlichen Werdegang nach. Die Theologen – und „Ratzinger-Schüler“ – Wolfgang Beinert und Hermann Häring erschließen dabei sein Denken. Der Jesuit Klaus Mertes und die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner stechen mit hellsichtigen Beobachtungen hervor.
Berührend sind die persönlichen Einblicke, die der irische Priester Tony Flannery gibt. Der warmherzige Mann wurde wegen seiner progressiven Predigten zu Themen wie Frauenordination und verpflichtendem Zölibat für Gemeindepriester von der Glaubenskongregation gemaßregelt. Auch der sich jetzt so kritisch über den Film äußernde Georg Gänswein kommt ausführlich zu Wort. Tendenziös, einseitig ist „Verteidiger des Glaubens“ also keineswegs. Die einzige Voreingenommenheit, die Christoph Röhl vermutlich ohne Zögern einräumen würde, ist seine Parteinahme für die Missbrauchsopfer.
Kritiker könnten vorbringen, dass man in dem Film nicht viel Neues erfährt. Das ist zum Teil richtig. Wer die Berichte und Analysen in den Medien aufmerksam verfolgt hat, wird vieles wiedererkennen. Da ist die heile Welt der Familie Ratzinger, dann der junge Theologe, der auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Reformer unterstützte. Da ist sein Schock über die Achtundsechziger, deren revolutionäres, in vielem chaotisches Vorgehen ihn verstörte. Bis in die Gegenwart hält dieses offensichtliche Trauma bei Ratzinger an, wie ein Aufsatz von ihm in diesem Frühjahr noch einmal deutlich machte. Als zentrale Ursache für den Missbrauch nannte er darin eine Entfremdung vom christlichen Glauben, die sich seit den sechziger Jahren auch in einer Abkehr von der katholischen Sexualmoral breitgemacht habe. Wie Johannes Paul II. sah Ratzinger die Zukunft der Kirche vor allem in den neuen geistlichen Bewegungen und Orden, etwa in den „Legionären Christi“. All das konnte man wissen. Aber es ist zweifellos etwas anderes, diese Zusammenhänge im Kino, auf der großen Leinwand präsentiert zu bekommen.
Auf einer Tour vor dem offiziellen Kinostart hat Christoph Röhl seinen Film vorgestellt. Dabei betonte er in Freiburg, dass es ihm nicht um die Einzelperson Joseph Ratzinger gegangen sei. Er wollte die gefährlichen Seiten eines Herrschaftssystems darstellen, das in dieser Form womöglich an seinem Ende angelangt ist.