Für Wolfgang Thierse, den früheren Bundestagspräsidenten, war die SED-Diktatur auch eine „Erziehungsdiktatur“. Von früh an war „die atheistische Erziehung ein Teil des Erziehungsprogramms“ der DDR. Das erklärte der Sozialdemokrat in einem Interview mit dem Kölner Domradio. „Die Jugendweihe wurde eingeführt“, und sie „war ganz stark vom Bekenntnis zum Atheismus geprägt, der sogenannten wissenschaftlichen Weltanschauung“. Davon waren auch die Schulen geprägt. Über Jahrzehnte habe das eine „beträchtliche Wirkung entfaltet“ neben den üblichen Säkularisierungsprozessen, die es ringsum in der Welt gab und gibt.
In kritischer historischer Erinnerung darf auch nicht vergessen werden, dass aufrechte Christen unter dem SED-Regime stark benachteiligt waren. Thierse: „Ich habe keine Karriere gemacht. Ich wollte auch keine machen, weil ich ja weder in die SED noch in die Blockpartei CDU eintreten wollte. Ich habe versucht, als Christ meinen Maßstäben von Anstand und Intelligenz zu folgen und so zu leben. Dafür musste man einen Preis zahlen. Das ist kein Märtyrertum. Ich will mich nicht als Opfer stilisieren, sondern nur das Selbstverständliche hervorheben. Als Christ hatte man keine Chance, eine Karriere zu machen. Ich durfte auch nicht dienstlich verreisen. Alle meine Kollegen, die ja fast immer SED-Genossinnen oder -Genossen waren, durften natürlich in den Westen reisen. Ich habe hier eingesperrt gesessen.“
Für die friedliche Revolution seien die Kirchen jedoch „ein Ort der Freiheit in einem unfreien Land“ gewesen. „Wo konnten sich die Oppositionsbewegung, die kritischen Gruppen, die sich zusammengetan hatten, versammeln? Natürlich nur in den Räumen der Kirchen.“ Dass die Revolution friedlich verlief, war „ganz wesentlich eine Leistung der Christen und Kirchen“.