Katholisch, indianisch, evangelikal: Bolivianische Wirren

Die katholische Kirche Boliviens und die auch in diesem Andenland erstarkenden evangelikalen und pfingstlerischen Gemeinschaften wollen helfen, die momentan heftigen politischen und sozialen Unruhen zu überwinden. Die Befriedung soll im Dialog mit der Interimsregierung und der Ständigen Menschenrechtsversammlung gelingen.

Zwischen Anhängern des bisherigen Päsidenten Evo Morales und Sympathisanten der Opposition waren nach den jüngsten Wahlen heftige Konflikte ausgebrochen. Morales hatte sich zum Sieger erklärt, war aber nach deutlichen Hinweisen auf massiven Wahlbetrug, der von der Organisation Amerikanischer Staaten bestätigt wurde, nach Mexiko ins Exil geflohen. Zuvor hatte er noch Neuwahlen angekündigt.

Da mit dem Präsidenten, der von der eingeborenen indianischen Bevölkerung abstammt, die ihn in großen Teilen weiterhin verehrt, auch die leitenden Amsträger des Senats und der Abgeordnetenkammer zurücktraten, kam quasi automatisch die zweite Vizepräsidentin des Senats, die Anwältin Jeanine Áñez Chávez, an die Macht. Genauer: Sie erklärte sich selbst zur Übergangspräsidentin, weil das Parlament wegen Boykotts der „sozialistischen“ Morales-Partei in der entscheidenden Sitzung nicht beschlussfähig war. Trotz spürbarer ökonomischer Erfolge wendete sich die weiße und mestizische städtische Bevölkerungsschicht, die einst Morales gewählt hatte, zusehends von ihm ab. Insbesondere, als er wider die Verfassung eine erneute Kandidatur durchsetzte. Seine Partei hat seit jeher Rückhalt vor allem in einem einfachen, armen, bäuerlichen Volk, das wesentlich von Subsistenzwirtschaft, also vom Anbau für den Eigenbedarf und lokale Märkte lebt. Dagegen hat das agroindustrielle Unternehmertum des sehr fruchtbaren östlichen Tieflands stets die politischen Gegner unterstützt.

Anders als Morales, der sich als Katholik versteht, mit Vorliebe für die religiösen Traditionen der Urbevölkerung und Bezügen zur Befreiungstheologie, ist die Interimspräsidentin evangelikal beheimatet. Nach ihrer Vereidigung trat sie auf den Balkon des Präsidentenpalastes und hielt demonstrativ eine Bibel hoch mit den Worten: „Die Bibel ist sehr bedeutsam für uns; unsere Kraft ist Gott, die Macht ist Gott.“

Unterdessen haben die Morales-Anhänger ihrem Unmut über die Entwicklung teilweise gewalttätig Luft verschafft. Außerdem wird auf angebliche Twitter-Botschaften von Jeanine Áñez verwiesen, welche die indianische Bevölkerung diskriminieren, ja beleidigen. So sollen die Indigenen in – allerdings länger zurückliegenden – Eintragungen wegen ihrer eigenen religiösen Riten als „Satanisten“ bezeichnet worden sein. Die Polemik richtet sich deutlich gegen als heidnisch empfundene indianische Opferhandlungen: „Niemand ersetzt Gott!“ Und: „Ich träume von einem Bolivien frei von indigenen Riten. Die Stadt ist nichts für Indios. Sollen sie doch zurück ins Hochland gehen.“

Als Übergangspräsidentin erklärte Jeanine Áñez nun: Ihre Aufgabe sei es, „wieder Frieden ins Land zu bringen und so rasch wie möglich neue Wahlen auszurufen – demokratische und transparente Wahlen“. Das hat die aufgewühlten indianischen Aktivisten nicht beruhigt, die sich im Zentrum von La Paz erneut heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten.

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