Als „Haus voll Glorie“, wie es im entsprechenden Lied heißt, „schauet“ die Kirche längst nicht mehr. Schon gar nicht „weit über alle Land“. Denn sonst hätte sie in universaler Weite bedeutende Erkenntnisse und Errungenschaften der Moderne religiös tatkräftig aufgenommen zur Inkulturation des Christusglaubens in unsere Zeit. Der allenfalls noch vereinzelt bemühte kirchliche Triumphalismus vergangener Zeiten wirkt bloß peinlich inmitten von viel kirchlichem Provinzialismus. Die heroische Sicht von einst hat auch ohne die neueren Skandale faktisch abgedankt. Paradoxerweise begünstigen diese momentan jedoch eine neue innerkirchliche wie mediale Fixierung auf „Kirche“. Als ob diese das Maß sei – und nicht Christus, das Christusgeschehen allein. Dabei könnte man der dritten Strophe des betreffenden Liedes – aber eben auch dort erst nachgeordnet und nicht am Anfang – entnehmen: „Die Kirche ist erbauet auf Jesus Christ allein. Wenn sie auf ihn nur schauet, wird sie im Frieden sein.“
Der Christusimpuls begründete von Anfang an ein kritisches Potential gegen alle Macht- und Herrschaftsansprüche. Nicht bloß um äußerliche politische oder ökonomische Verhältnisse geht es da, vielmehr um die geistige Verfasstheit, um die innere Freiheit eines Christenmenschen. Für die Freiheit hat uns Christus frei gemacht, so Paulus. Gemeint ist die Befreiung von Gefangenschaft und Verblendung jeglicher Art. Dieser beschwerliche Weg hat Christus vom Leben in den Tod und zur Auferstehung geführt. Gerade die Befreiungstheologie hat letztere Perspektive wiederentdeckt gegen eine inbrünstige Leidensmystik, die vor lauter Karfreitag blind war für die österliche Hoffnung auf Erlösung im Reich Gottes. Das schließt die Befreiung von Erlösungsideologien und Erlösungsmythologien ein, die auf vielfältige Art Geisteshaltungen bestimmen und engführen, von quasireligiös aufgeladenen biomedizinischen Heilsversprechungen bis zur quasisakralen Naherwartung eines paradiesischen Öko-Reichs ohne Endlichkeit.
Derartigem Realitätsverlust tritt die Vorstellung eines evolutiven, ja kosmischen Christus als Weltenherrscher entgegen: im Bewusstsein der unerbittlichen Sterblichkeit und Vergänglichkeit des gesamten Lebens und Universums, zugleich aber in der Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde aus der Schöpfermacht Gottes, durch den Logos Christus. Wo unsere Verstehenskraft endgültig versagt, richten wir unsere Sehnsucht auf die Ikone des unsichtbaren, unbekannten Gottes – Christus. Nicht auf die Kirche, sondern allein auf den einzig wahren Kyrios, Anfang und Ende, Alpha und Omega: „Herr, dich preisen wir, auf dich bauen wir; lass fest auf diesem Grund uns stehn zu aller Stund.“