In Platons Dialog „Charmides“ schildert Sokrates, wie er von einem thrakischen Priesterarzt die Heilkunst erlernt hat. Jener kritisiert die Praxis, sofort zu diagnostizieren und zu trennen: das Organ vom Körper und den Körper von der Seele – obwohl von ihr her Krankheit und Gesundheit erst ausgehen. Wer von seinem Heiler nicht zu einer geistigen Begegnung eingeladen wird, sollte schnell das Weite suchen. Diesem Anspruch wird Jesus in besonderer Weise gerecht. Im Licht des Wunderglaubens entfalten die Evangelien seine therapeutische Hinwendung zu den Geschwächten und Verzweifelten.
Der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister und der Münchener Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Tobias Skuban haben ein Handbuch herausgegeben, das psychiatrische Grundlagen für die Seelsorge legt. Das Spektrum der behandelten Themen reicht von konkreten Krankheitsbildern bis zu rechtlichen Fragen. Das Buch schließt nicht nur eine große Lücke, sondern ist auch eine Ansage: In Deutschland leidet etwa jeder Dritte im Lauf des Lebens an einer psychischen Krankheit. Hier steht nicht nur das Gesundheitswesen in der Pflicht. Die Kirche ist am Zug, mehr als bisher Seelsorge nicht nur institutionell zu (ver-)planen, sondern zwischenmenschlich zu ermöglichen – wenn sie wirklich werden will, was sie von der Verkündigung Jesu her zu sein hat: „Asylstätte der Existenz“ (Eugen Drewermann).