Über die "Kirche am Meer" in Wangerland bei JeverAufbruch oder Wellenschlag: die Kirche am Meer

Wie eine Welle am Strand bäumt sich die Marienkirche von „Königs Architekten“ am Meer im ostfriesischen Wangerland. Sie könnte für einen Aufbruch der Kirche von heute stehen: mutig, energisch, ökologisch. Oder verrinnt auch dieser gebaute Appell wie eine Welle im Sand?

© Foto: Christian Richters (Sankt Marien, „Kirche am Meer“, Horumersiel-Schillig, Außenansicht)

Wangerland ist heute der Name einer Gemeinde am niedersächsischen Wattenmeer, nördlich von Jever und Wilhelmshaven im Nordosten der ostfriesischen Halbinsel gelegen. Die Namen Wangerland und Wangerooge, jener Insel, die gegenüberliegt, gehen auf den karolingischen Gau Wanga (= Wiese) zurück. Maria von Jever, in der Region bekannt als „Fräulein Maria“ – sie regierte zwischen 1531 und 1575 – hatte hier die Reformation eingeführt, wie auch ihre Nachbarn, die Grafen von Ostfriesland und von Oldenburg. Aber durch den Ausbau des preußischen Kriegshafens in Wilhelmshaven seit 1854, den die Marine der Bundeswehr 1956 übernahm, durch Flüchtlinge aus dem Osten nach 1945, Industrieansiedlungen und den Tourismus entstanden wieder kleine katholische Gemeinden. 2012 errichtete das Bistum Münster an der Stelle einer baufälligen Marienkirche in Horumersiel-Schillig von 1967 die „Kirche am Meer“.

Den 2009 ausgeschriebenen Wettbewerb hatte das Kölner Büro „Königs Architekten“ unter der Leitung von Ilse Maria und Ulrich Königs für sich entschieden. Der weich gerundete, steil aufschwingende Bau aus Oldenburger Blankziegeln erhebt sich über einem rechteckigen Mauersockel, der den Eingang, die Sakristei und die Nebenräume birgt. Oldenburger Ziegel, das sind hart gebrannte Backsteine im Format 220 × 105 × 52 Kubikmillimeter, dunkelbraun, rötlich, blaugrau je nach Lichteinfall und Blickwinkel. Sie wurden in alter Technik in einem Ringofen gebrannt. Die Steine verkleiden die tragende Stahlbetonwand. Der Innenraum wird durch das geschwungene Dach belichtet: ein Glasdach mit parallelen Betonunterzügen.

© Foto: Christian Richters (Sankt Marien, Horumersiel-Schillig, Innenansicht)
Deren Schatten gleiten wie Wellen über die geschwungenen Wände. Wie bei der Franziskuskirche in Burgweinting bei Regensburg, erbaut 2004 ebenfalls von Königs Architekten, kann man durch das Dach den Himmel und die Wolken sehen. Ein alter Traum der Menschheit, zum Himmel offene Tempel zu errichten, den das römische Pantheon im 2. Jahrhundert verwirklichte und an dessen Umsetzung der amerikanische Lichtkünstler James Turell seit Jahrzehnten arbeitet, wird in den beiden Kirchen von Königs mit modernen Mitteln realisiert; in Burgweinting mit einem mattierten Glasfasergewebe, in Wangerland mit dem Betonglasdach. Das Licht bricht sich an keiner Kante, in keiner Ecke, denn beide Kirchen sind gerundete Räume. Die Kirche bei Regensburg nähert sich der Eiform, die „Kirche am Meer“ einer Kreuzform, aber ohne Winkel.
© Foto: Königs Architekten (Sankt Marien, Horumersiel-Schillig, Grundriss)
Das auf drei Seiten um den weißen Steinaltar gestellte Gestühl bildet einen Ring, der den Eindruck des allumfassend Runden verstärkt. Aus einer aufgegebenen und abgebrochenen Kirche wurde die Orgel übernommen, aus dem Vorgängerbau der Tabernakel von Fritz Schwerdt und ein Glasgemälde von Ludwig Schaffrath.

Liturgie und Ästhetik

Gemäß dem Bonner Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards ist die Liturgie „die privilegierte ästhetische Dimension des Glaubens“. Ihr kommt eine Schlüsselstellung bei der Weitergabe des Glaubens zu, aber „die westliche Theologie krankt an der Vernachlässigung der durch die Liturgie verkörperten Glaubensästhetik“. Dies hat der Autor im Erzbistum München und Freising jahrelang erlebt, ohne viel dagegen ausrichten zu können. Er gebraucht, im Gegensatz zu Albert Gerhards und zum Liturgiewissenschaftler Aloys Goergen (1911–2005), von dem der Begriff der „Glaubensästhetik“ stammt, dieses Wort nicht nur für den manchmal gelingenden Fall, dass das Gesehene den unsichtbaren Gott als anwesend vergegenwärtigt, sondern für alles, was vom Glauben sichtbar ist: vom Plakat für das Pfarrfest über das Fastentuch bis zu Kelch und Altar. Diese ästhetische Dimension des Glaubens wird von der Kirche nur selten professionell wahrgenommen. Die „Kirche am Meer“ ist ein Gegenbeispiel. Sie macht Mut, aber sie kann ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn die Liturgie dort sich auf dem Niveau des gebauten Raumes bewegt. Dafür bedarf es neben angemessener Paramente und Geräte und eines geschulten Altardienstes sorgsamer schriftlicher Anweisungen, die jede Urlaubsvertretung beherzigen sollte. Tourismusseelsorge ist eine immer wichtiger werdende Chance der Kirche. Die „Kirche am Meer“ könnte diese Chance verdoppeln. Sie knüpft an die großen Kirchen der Nachkriegsmoderne von Rudolf Schwarz, Dominikus Böhm, Hansjakob Lill und anderen an, die aus der Liturgischen Bewegung und den Möglichkeiten des Neuen Bauens beispielhafte Denkmäler eines kirchlichen Aufbruchs schufen.

Ökologie

Die Kirchengemeinde von Horumersiel-Schillig ist vom Umweltmanagement des Bistums Münster als vorbildlich ausgezeichnet worden. Sie steht für einen ökologischen Kulturwandel nach den Prinzipien Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Glaubwürdigkeit. Die „Kirche am Meer“ beim Naturschutzgebiet „Welterbe niedersächsisches Wattenmeer“ bietet dafür Raum durch ihre Form, ihr Licht, ihr Material. Die Oldenburger Ziegel, aus Erde gebrannt, nach dem Gesetz der Schwerkraft aufeinandergeschichtet, nehmen Erde, nehmen den Boden unseres Lebens ernst. Die runden Formen der Kirche wirken wie vom Wind geschliffen und bäumen sich auf wie die Wellen der Nordsee. Wie Wellen in regelmäßigem Takt fällt das Licht durch das Glasdach in den Raum. Die Bläue des Himmels, die von innen sichtbaren Wolken lassen Himmel erleben als Wolkendecke, Firmament und Thron Gottes, als Wohnung des Vaters im Himmel. Ökologie ist „Ja sagen zu deiner Schöpfung“. So übersetzt der Schriftsteller Arnold Stadler einen Vers aus Psalm 8 (in: „Die Menschen lügen. Alle. Und andere Psalmen“, Frankfurt 1999). Die „Kirche am Meer“ verbindet Ökologie mit Transzendenz.

Die Abbildungen sind dem Katalog der Wanderausstellung „Zusammenspiel. Kunst im sakralen Raum“ (Verlag Schnell + Steiner) entnommen, die vom 1. März an in Rottenburg, danach in Stuttgart, Bad Windsheim, Duisburg, Köln, Münster, Ludwigshafen und Goslar gezeigt wird.

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