Mystiker haben selten das Bittgebet gepflegt, sie haben an einem auf Gegenseitigkeit beruhenden Verhältnis der Beziehung gearbeitet. In diesem Akt des Sprechens wird das Geheimnis der Welt als Sprache und Gehör geglaubt. Im wirklichen Gebet gilt, was Friedrich Hölderlin mit der Wendung „seit ein Gespräch wir sind und hören können voneinander“ ausdrückt. Das Gespräch, das wir „sind“ und nicht „führen“, nennt uns als Antwortende, die immer schon angesprochen sind. Wir sind nicht Vereinzelte, die einsam gegen die Mauern des Nichts schreien. Wir fabrizieren uns nicht selber. Die Selbstfabrikation wird durch „Verdanktheit“ oder Gnade abgelöst.
Dorothee Sölle (1929–2003) in: „Mystik und Widerstand“ (Kreuz, Freiburg 2014)