In Talkshows sind sie gern gesehene Gäste und werden von einer Sendung zur anderen herumgereicht: die eloquenten Selbstdarsteller, die auf alles schlagfertig antworten können, die witzig, frech und unterhaltsam daherkommen, die Überlegenheit ausstrahlen und noch dazu gut aussehen. Wer kann sich als Zuschauer diesem „Charme“ schon entziehen?
Auch in der Werbe- und Verkaufsbranche sind diese selbstbewussten „Typen“ gefragt. Sie sind – so die traditionelle Auffassung – die besten Handelsvertreter. Ein Irrtum, wie sich inzwischen herausgestellt hat. Eher schüchterne Personen sind auf lange Sicht anscheinend die besseren und erfolgreicheren Vertriebsleute. Das jedenfalls hat neulich der Marketing-Fachmann Stefan Rappenglück im Interview mit einem PR-Newsletter erläutert. Die Vorteile der Zurückhaltenden sind: Sie können sich meistens besser in ihr Gegenüber einfühlen, wirken ehrlich, authentisch. Dagegen treten die ausgesprochen Extrovertierten nicht selten wie ein „Alphatier“ auf, das – so Rappenglück – „mit dominantem Gestus sein Produkt präsentiert und den Kunden niederredet“. Nicht wenige dieser Verkäufer betrachteten das Verkaufsgespräch als eine Art Krieg. „Sie überlegen sich also, auf welches Stichwort sie mit welchem Argument als Waffe reagieren und wie sie den Kunden im Gespräch quasi niederstrecken.“ Der gute Verkäufer hingegen versucht, die anderen wertzuschätzen, zu respektieren. In seiner zurückhaltenden, nachdenklichen Art gelingt es ihm, den Hintergrund und Untergrund einer Absage genauer zu erkunden und zu verstehen. Der Gesprächspartner wird eben als solcher betrachtet – und „nicht als Feind“. Erst dann lässt sich auf angemessene Weise erklären, welchen „Mehrwert ein spezielles Produkt für diesen ganz speziellen Kunden bietet“.
Eigentlich ist diese Erkenntnis nicht neu. Aus der christlichen Missionsgeschichte weiß man seit langem, dass nicht jene Missionare die erfolgreichsten sind, die meinen, mit Feuer und Schwert die Fremden bekehren zu müssen, sondern jene, die in die andere Kultur lernend eintauchen und aus dieser Kultur – einschließlich der entsprechenden Sprache – die Bedürfnislage des Gegenübers erkennen wollen. Erst so ist es möglich, das Christentum in den Erfahrungsraum des anderen einzubringen, es als „Mehrwert“ anzubieten, vorzuschlagen – durch das überzeugende eigene Verhalten.
Der begnadete Seelsorger
Im Nachhinein fragt man sich im ehemals volkstümlich christlichen Kulturkreis, in dem das Christentum heutzutage massiv abbricht, ob die kirchlichen „Verkäufer“, die Seelsorger, welche die „Gnadenmittel“ Sakramente verwalten und spenden, eventuell ähnlich wie die allzu forschen weltlichen Produktanbieter etwas falsch gemacht haben. Haben sie mit ihren das Volk drangsalierenden Predigten, mit selbstherrlichen Moraldrohungen, klerikal-überheblichem Gehabe, ihrem Status als die vermeintlich besseren, reineren, vollkommeneren Christen womöglich überzogen, die Leute abgeschreckt? Waren die sprichwörtlichen „ekklesiogenen Neurosen“, also jene im Gottesvolk kirchlich erzeugten krankhaften Skrupel und Ängste – insbesondere auf dem Feld der Sexualität –, die den Menschen die Lebensfreude und damit manche Freude an Gott raubten, doch ursächlich dafür, dass sich die nachfolgenden Generationen abwendeten? Haben viele Menschen vielleicht gerade deshalb das Religiöse aufgegeben, weil ihnen allzu vieles als bloße Hülle, Phrase, Behauptung erschien, während Aufklärung und Entmythologisierung argumentativ ein völlig neues Weltbild einleiteten?
Andererseits gab es auch in früheren Zeiten – genauso wie es sie heute gibt – die vielen verständnisvollen Seelsorger, die als wirkliche Priester am Seelenheil und am körperlichen Heil der Menschen interessiert waren, die auch im Beichtstuhl Hilfe gaben, statt nachzubohren, und die im weltlichen Leben aufgrund ihrer Weltläufigkeit in schwierigen Situationen und Konflikten weise die Glaubenden wie Zweifelnden zu beraten wussten. Diese begnadeten, eher zuhörenden, nachdenklichen, gebildeten, abwägenden, manchmal schüchternen Priester, Pfarrer, Mönche und Ordensfrauen in der Stadt wie im Dorf waren und sind seit jeher beim Volk beliebt – und bei Gott. Und weniger die Forschen, alles besser Wissenden, die sich selbst in politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Belangen stets integralistisch vorwagen und meinen, aufgrund ihres geistlichen Standes, ihrer spirituellen „Berufung“ die mündigen Bürger bevormundend belehren zu müssen. Geehrt und geachtet sind die Vielen, die trotz ihrer Zurückhaltung ihre wahre religiöse Autorität ins Spiel bringen, die nicht aus falscher Bescheidenheit nichts sagen, sondern das rechte Wort zur rechten Zeit finden.
Der verwundete Seelsorger
Noch wichtiger aber ist, dass jene, die von Gott sprechen und in seinem Namen handeln, selber von ihrem „Produkt“ Evangelium, das eben kein Produkt ist wie jedes andere, innerlich ergriffen, berührt, bewegt sind. Gerade wenn sie selber erst nach oftmals eigenem inneren Widerstand erkannt und gefühlt haben, welche geistige Kraft sie von der Botschaft Christi her durchströmt, was sie aufrichtet und trägt auch in schwerer Zeit. So sind die besseren Seelsorger die verwundeten Seelsorger, jene, die an Leib und Seele die Dunkelheit der Gottesferne, die Entfremdung vom Sinn des Lebens erlitten, ja die Nacht des Glaubens durchgemacht haben.
Die Kirchenkrise offenbart sich tatsächlich zusehends als eine „Verkaufskrise“ – allerdings der völlig anderen Art. Zu viele Menschen fühlen sich von der Weise, wie ihnen „Kirche“ – nicht selten im geistlichen Amt, in der Bürokratie, aber auch in Laien – gefühlskalt entgegentritt, „verkauft“ und „verschaukelt“. Das umso heftiger, je mehr die sündigen Seiten der „heiligen“ Institution in Erscheinung treten. Der Glaubwürdigkeitsverlust im Atmosphärischen verursacht dann recht schnell auch einen Glaubensverlust im Wesentlichen.
Stefan Rappenglück beobachtet auf dem ökonomischen Feld, dass es von Anfang an entscheidend ist, ob das Verhalten, mit dem jemand ein Produkt anbietet, zu diesem Produkt passt oder nicht. Dasselbe gilt auf dem heilsökonomischen Feld. Der christliche Glaube ist zwar kein kommerzielles Produkt, kein weltlich Ding, aber die Psychologie der Werbung für den Glauben und für seine Glaubwürdigkeit ist dieselbe. „Es geht um das gesamte Auftreten, um den Ton, in dem ich spreche, die Art“, wie ich Menschen behandle, und es geht um die „‚Inhalte‘, die ich vertrete“, erklärt Rappenglück. Im Religiösen kommt die heilsame Erfahrung hinzu, selber dem Zweifel ausgesetzt gewesen zu sein, ja unter der Einsamkeit, Fremdheit und Rätselhaftigkeit der Existenz gelitten zu haben.
Von Paulus lernen
Das wusste bereits Paulus. In einer für die Akzeptanz des Christentums äußerst schwierigen Zeit könnte er – wiedergelesen – erneut zum Zeitzeugen jenes Anfangs werden, dessen Stärke gerade in der Schwachheit liegt. Der Völkerapostel, Völkermissionar hat diese Spannung aus Selbstbewusstsein, Autorität, Macht und Einfühlung, Bescheidenheit, ja Schüchternheit voller psychologischer Weisheit im zweiten Korintherbrief (im zwölften Kapitel) eindrücklich beschrieben: „Meiner selbst will ich mich nicht rühmen, höchstens meiner Schwachheit. Wenn ich mich dennoch rühmen wollte, wäre ich zwar kein Narr, sondern würde die Wahrheit sagen. Aber ich verzichte darauf; denn jeder soll mich nur nach dem beurteilen, was er an mir sieht oder aus meinem Mund hört. Damit ich mich wegen der einzigartigen Offenbarungen nicht überhebe, wurde mir ein Stachel ins Fleisch gestoßen … Die Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Viel lieber also will ich mich meiner Schwachheit rühmen, damit die Kraft Christi auf mich herabkommt. Deswegen bejahe ich meine Ohnmacht, die Misshandlungen und Nöte, Verfolgungen und Ängste, die ich für Christus ertrage; denn wenn ich schwach bin, dann bin ich stark.“
Von Paulus lernen heißt für die Glaubensverkündigung von heute lernen, ob als berufener amtlicher Seelsorger oder als Laie in weltlicher Berufung. Für alle gilt, was Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Die Freude des Evangeliums“ über die Verkündigung der frohen Botschaft in der Welt von heute anregend formuliert hat: „Brechen wir auf, gehen wir hinaus, um allen das Leben Jesu Christi anzubieten! Ich wiederhole hier für die ganze Kirche, was ich viele Male den Priestern und Laien von Buenos Aires gesagt habe: Mir ist eine ‚verbeulte‘ Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit, sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist. Ich will keine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein, und schließlich in eine Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist. Wenn uns etwas in heilige Sorge versetzen und unser Gewissen beunruhigen soll, dann ist es die Tatsache, dass so viele unserer Brüder und Schwestern ohne die Kraft, das Licht und den Trost der Freundschaft mit Jesus Christus leben, ohne eine Glaubensgemeinschaft, die sie aufnimmt, ohne einen Horizont von Sinn und Leben. Ich hoffe, dass mehr als die Furcht, einen Fehler zu machen, unser Beweggrund die Furcht sei, uns einzuschließen in die Strukturen, die uns einen falschen Schutz geben, in die Normen, die uns in unnachsichtige Richter verwandeln, in die Gewohnheiten, in denen wir uns ruhig fühlen, während draußen eine hungrige Menschenmenge wartet und Jesus uns pausenlos wiederholt: ‚Gebt ihr ihnen zu essen!‘ (Mk 6,37).“
Was aber ist der „Mehrwert“ dieses christlichen Glaubens? Nichts anderes als der Glaube selbst, der sich nicht verkaufen, der jedoch leben, hoffen und lieben lässt.