Dresden – das ist seit der katastrophalen Zerstörung der Elbmetropole im Februar 1945 und dem Wiederaufbau der Frauenkirche (1996–2005) vor allem ein Erinnerungsort für Krieg und Frieden. Aber in der jüngsten Vergangenheit wurde die Stadt zeitweise zu einem Aufmarschgebiet rechtspopulistischer Gruppen. Dem versucht die Regisseurin, Dokumentarfilmerin und Bürgerrechtlerin Freya Klier (geboren 1950) eine historisch informierte Darstellung entgegenzusetzen. Mit erzählerischer Kraft schildert sie, wie es hier zur „Geburt einer neuen Epoche“ kam.
„An allen Ecken standen Redner. Überall erschollen Hassgesänge. Alle wurden gehasst: die Juden, die Kapitalisten, die Junker, die Kommunisten, das Militär, die Hausbesitzer, die Arbeiter“, schreibt der Maler George Grosz über die Umbruchzeit des Jahres 1919. Auf die Niederlage der Mittelmächte und den militärischen Zusammenbruch Deutschlands folgte am 9. November 1918 die Abdankung Kaiser Wilhelms II. Die Revolution der Arbeiter und Soldaten machte vor den noch bestehenden deutschen Monarchien nicht Halt: Überall im Land wurden die Könige vom Thron gefegt.
Anhand eindrucksvoller Quellentexte von Polizei, von Staatsanwaltschaft und vom Kriegsministerium aus dem Hauptstaatsarchiv Dresden zeigt Freya Klier, wie der revolutionäre Geist auch das Königreich Sachsen erfasste und seine Metropole umkrempelte.
„Nirgendwo gründeten sich 1919 so viele Vereine wie in der sächsischen Hauptstadt – Christen und Juden, Mädchen und Jungen, Kommunisten und Nationalisten. Alle wollen die Welt verändern … Auch die Kunst kommt nicht ungeschoren davon. Im Zwinger hat eine verirrte Kugel das Fenster der Gemäldegalerie durchschlagen und sich Rubens’ ‚Bathseba im Bade‘ in den Kopf gebohrt!“ Oskar Kokoschka, dort als Kunstprofessor tätig, war darüber so empört, dass er umgehend ein Plakat drucken ließ, mit dem er forderte, derartige Attacken in Zukunft in die Heide zu verlegen, um die Gemäldegalerie zu verschonen.
In ihrem chronologisch gegliederten Buch lässt die mit zeitgeschichtlichen Stoffen vertraute Autorin – ähnlich wie Walter Kempowski (1929–2007) in seinem Buch „Echolot“ – neben „einfachen“ Dresdnern auch Prominente wie Käthe Kollwitz, Erich Kästner, Ernst Toller, Friedrich Wolf und Marie Stritt, die führende Aktivistin des nach dem Ersten Weltkrieg erkämpften Frauenwahlrechts, zu Wort kommen. So entsteht für den Zeitraum zwischen Oktober 1918 und Frühjahr 1920 ein historisches Panorama, das die Anfänge des Freistaats Sachsen nach Abdankung des letzten Königs Friedrich August III. lebendig werden lässt.
Zu den konfessionellen Unterschieden hält die Autorin hellsichtig fest: „Die politische Krise der protestantischen Kirche ist um etliches tiefer als die der katholischen. Wo soll sie sich ansiedeln? Im Gegensatz zum Katholizismus, der in der Zentrumspartei nun eine zuverlässige und parlamentarisch erfahrene politische Vertretung besitzt, hat der Protestantismus keine eigene politische Gruppierung, auf die er sich stützen kann. Das hat historische, aber mehr noch theologische Gründe: In der historischen Entwicklung hatte der Protestantismus keine eigene Partei nötig, solange das landesherrliche Kirchenregiment selbstverständlich auch seine politische Vertretung wahrnahm.“
Freya Klier, 1980 Mitbegründerin der DDR-Friedensbewegung, gelingt es mit ihrer Darstellung, die Übergänge von Gewalt und Krieg zu Frieden und Demokratie auf eindrucksvolle, bewegende Weise zu schildern. „Wenigstens in Dresden kann man von einer friedlichen Revolution sprechen – ein Begriffspaar, das fast im gesamten 20.Jahrhundert noch die europäische Ausnahme bleiben wird.“