In der Debatte über die Zuwanderung, die notwendige Hilfe für die Bedrängten und die notwendigen Grenzen muss die Gesellschaft Wege und eine Sprache der Mitte finden. Das wünscht der Mannheimer Politikwissenschaftler Peter Graf Kielmansegg. Beides sei gleich wichtig: die Bereitschaft zu helfen und der Wille zur Behauptung des Eigenen, schreibt er in der „Frankfurter Allgemeinen“. „Alles andere würde unsere Demokratie zerreißen.“
Auf diesem Weg der Vernunft, der Mitte und der Umsicht befinde sich die hiesige Gesellschaft jedoch noch nicht. Die Flüchtlingskrise 2015 habe das Land „so tief, so leidenschaftlich, so dauerhaft aufgewühlt“ wie kein anderer politischer Konflikt in der jüngeren Geschichte. Das Thema habe sich auch längst nicht erledigt. Wer dies vermute, täusche sich selbst beziehungsweise gebe sich reinem Wunschdenken hin. Stattdessen, so sagt es Kielmansegg voraus, werde die Migrationsfrage immer wieder hochkommen, mit „eruptiver Heftigkeit“. Daran werde deutlich, wie gespalten das Land sei.
Einwanderung ist in einer Demokratie fast nie ein Konsensthema, erläutert der Politologe. Es sei „ganz unvermeidlich, dass unterschiedliche normative Orientierungen, unterschiedliche Interessen und unterschiedliche Einschätzungen der tatsächlichen Verhältnisse auf diesem Feld aufeinandertreffen“. Dennoch hätte man „vernünftig, nachdenklich und redlich“ darüber diskutieren können, ja müssen. Stattdessen werde die Debatte seit Jahren von extremen Positionen bestimmt. „Es ist uns nicht gelungen, eine Sprache der Mitte zu finden, die es möglich gemacht hätte, im Respekt voreinander über ein Thema zu reden, das unser Gemeinwesen elementar trifft.“
Zwar könne auch eine solche Sprache der Mitte nie alle erreichen, räumt Kielmansegg ein. Es werde immer „unerreichbare Randzonen des politischen Spektrums“ geben. In diesem Fall sind das Positionen, die entweder einer fremdenfeindlichen Abschottung oder einer bedingungslosen Öffnung das Wort reden. Die gesellschaftliche Mitte neige aber eigentlich zu keiner dieser extremen Haltungen. Diese Mitte „wäre vermutlich stark genug“, die Diskussion zu prägen. Doch bislang tue sie das nicht, beklagt der Politikwissenschaftler: „Sie ist sprachlos geblieben.“