Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück dokumentiert Gespräche mit sieben Schriftstellerinnen und Schriftstellern der Gegenwart: mit Sibylle Lewitscharoff, Thomas Hürlimann, Nora Gomringer, Hartmut Lange, Christian Lehnert, Michael Köhlmeier und Ilija Trojanow. Sie haben im Rahmen der von Tück initiierten „Poetikdozentur“ an der Universität Wien Vorträge gehalten (im Video: https://dg-ktf.univie.ac.at/poetikdozentur/video-archiv/). Im gleichen Zeitraum, zwischen 2016 und 2018, hat der Theologe mit ihnen die vorliegenden Gespräche „zumeist in schriftlicher Form“ geführt.
Die Dokumentation geschieht sehr sorgfältig: Im Vorwort sind alle Gespräche im Überblick beschrieben. Zu Beginn jedes Gesprächs gibt es ein aktuelles Foto, verbunden mit einem herausragenden Zitat aus dem Gesprächsverlauf. Die zahlreichen literarischen Textstellen sind mit Quellenangaben versehen. Im Anhang finden sich Kurzbiografien mit jeweils einer Auswahlbibliografie. So hat der Herausgeber alles getan, der Lust der Leser zum Weiterlesen und zur Vertiefung den Weg zu bahnen.
Es geht um „Erkundungen im Zwischenraum von Literatur und Religion“. Unter einem „Zwischenraum“ kann man sich sehr Verschiedenes vorstellen: ein Niemandsland, das Areale voneinander trennt, aber auch ein Begegnungsfeld, das sie verbindet. Und darum geht es hier. Der Begegnung von Literatur und Religion, der gegenseitigen Erkundung und kritischen Befragung wird zugetraut, dass beide Bereiche für sich neue Denk- und Sprachmöglichkeiten entdecken.
Der Theologe Jan-Heiner Tück ist dabei zunächst in der Rolle des Fragestellers, der bei seinen Gesprächspartnern deren literarische Produktion erkundet, Neues erfährt über ihre Werke, ihre Lebensanschauungen, über ihr Selbstverständnis als Schriftsteller und die Rolle von religiösen Themen und Motiven. Dabei bestätigt man sich gerne gegenseitig die eigene Klugheit und Belesenheit. Gelegentlich entsteht aber auch ein wirkliches Gespräch, wenn beispielsweise die Autoren plötzlich Rückfragen an den Theologen richten und ihn zu einer Stellungnahme herausfordern. So, als Michael Köhlmeier über seine Antoniusnovelle und das „dunkle Rätsel des Bösen“ die Rollen vertauscht: „Und darum – bitte erschrecken Sie nicht – ergreife ich die Gelegenheit und frage sie geradeheraus: Lieben Sie Gott?“
Statt eines Überblicks über die einzelnen Kapitel und Positionen der Schriftsteller soll hier – als „Appetithäppchen“ – zu jeder Person ein besonders ansprechendes Wort wiedergegeben werden. So von Sibylle Lewitscharoff: „Ich hoffe doch sehr, dass jemand nach meinem Tod die Hände faltet und versucht, Gott daran zu erinnern, dass ich nicht nur schlecht gewesen bin, dass meiner Verstrickung in das Böse die teilhabende Schwäche innewohnt, die in fast jedem Menschen ihr Unwesen treibt.“ Thomas Hürlimann schreibt: „Wenn sie in meiner Heimat die Kreuze von den Gipfeln holen, gehe ich zusammen mit einigen Sennen in den hochalpinen Untergrund. Der Aggressor sei gewarnt. Wir kennen uns dort oben aus.“ Die Lyrikerin Nora Gomringer merkt an: „Wir sind dort noch lebendig, wo die Stimme eines Lebendigen uns erreicht, wenn er uns ruft.“ Hartmut Lange wiederum: „Nicht in der Gottesgewissheit oder in der Verzweiflung, diese Gewissheit nicht erlangen zu können, kommt der existenziell umgetriebene Mensch zur Ruhe. Nur solange er Gott sieht und fähig bleibt, in diesem Bemühen nicht nachzulassen.“ Der Lyriker Christian Lehnert hält fest: „Der Wind, eine unsichtbare Kraft, zeigte sich, wo er auf etwas traf, er zeigte sich am Widerstand der Dinge.“ Der Österreicher Michael Köhlmeier meint: „Der Künstler erfährt bei seinem Tun heilige Momente.“ Und schließlich Ilija Trojanow: „Offen gesagt glaube ich, dass sich nur die allerwenigsten Menschen wirklich mit Gott beschäftigen. Die allermeisten beschäftigen sich doch eher mit dem Leben.“