Natürlich ist Religion nicht etwas für den stillen Winkel und für einige Feierstunden, sondern sie muss … Wurzel und Grund allen Lebens sein, und das nicht nur für wenige Auserwählte, sondern für jeden wirklichen Christen… In der Zeit unmittelbar vor und noch eine ganze Weile nach meiner Konversion habe ich … gemeint, ein religiöses Leben führen heiße, alles Irdische aufgeben und nur im Gedanken an göttliche Dinge leben. Allmählich habe ich aber einsehen gelernt, dass in dieser Welt anderes von uns verlangt wird und dass selbst im beschaulichsten Leben die Verbindung mit der Welt nicht durchschnitten werden darf. Ich glaube sogar: Je tiefer jemand in Gott hineingezogen wird, desto mehr muss er auch in diesem Sinne „aus sich herausgehen“, das heißt in die Welt hinein, um das göttliche Leben in sie hineinzutragen.
Edith Stein (1881–1942) in: „Briefe“, Bd. 1 (Gesamtausgabe, Verlag Herder, Freiburg 2000)