Für Hans-Jürgen Papier, den früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, deuten die Verluste der einstigen Volksparteien und das Erstarken der politischen Ränder auf eine Spaltung der Gesellschaft hin. „Unser pluralistisches Gemeinwesen wird nicht mehr durch gemeinsame Tradition, Herkunft oder Religion zusammengehalten“, sagte er in der „Welt“. Die gemeinsame Grundlage sei „allein das Bekenntnis zur Verfassung und zur Herrschaft des Rechts“. Aber auch das Vertrauen in den Rechtsstaat bröckelt, wenn die Bevölkerung einen „Kontrollverlust der politisch Verantwortlichen“ wahrnimmt. Das ist laut Papier etwa in der Flüchtlingspolitik oder im Umgang mit organisierter Kriminalität der Fall.
Inzwischen sei weiten Teilen der Bevölkerung der Respekt vor dem Gesetz abhandengekommen. So sind die Ziele der „Fridays-for-Future“-Aktivisten zwar oft ehrenwert, aber es sei alarmierend, „wenn sich heute auch mit Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung, der Medien und der politischen Öffentlichkeit der Gedanke durchsetzt, dass das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit nicht mehr ausreicht“. Es brauche zusätzlich noch die Verletzung der Schulpflicht als „gezielten Rechtsbruch“. Wenn dieses Denken auch bei anderen Anliegen um sich greift, „kann man sich vieles ausdenken. Am Ende stehen dann Chaos und Anarchie.“