Der zeitgemäße Beter

Biblisch inspiriert und rückgebunden: Gebete von Huub Oosterhuis.

Das Unbehagen an Floskeln und Phrasen in Liturgie und Kirche ist weit verbreitet. „Bibelfeste“ Christen – oder besser: Liebhaber der Heiligen Schrift – wissen, dass gegen steriles, blasses „Kirchendeutsch“ nur eine Sprache ankommt, die von der Bibel inspiriert und biblisch rückgebunden ist. Solche Gebete und Meditationen entfalten nach wie vor und immer wieder (manchmal ungeahnte) Kraft. Weil sie Raum lassen und Räume eröffnen. Denn Gott lässt sich nicht in Begriffskäfige sperren. Die Theologie verwendet dafür seit dem vierten Laterankonzil (1215) die Rede von der Analogie: Alles, was wir über Gott sagen können, ist ihm eher unähnlicher als ähnlich.

Einer, der seit Jahrzehnten maßgeblich zu den Autoren gehört, die eine wachsende Gemeinde mit schöpferischen Texten beschenken, ist der niederländische Theologe und Poet Huub Oosterhuis. Seine gern gesungenen Lieder („Solang es Menschen gibt auf Erden“, „Herr, unser Herr, wie bist du zugegen“, „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr“) schafften es erst nach etlichen Interventionen ins neue „Gotteslob“. Konservative Kritiker hatten sich an der Person des heute 86-Jährigen gestört, der einst aus dem Jesuitenorden ausgetreten war und später geheiratet hatte. Oosterhuis ist immer noch produktiv. Jetzt liegt von ihm eine neue kleine Sammlung von Gebeten vor – ins Deutsche übersetzt von Birgitta Kasper-Heuermann, Hans Kessler, Anette Rothenberg-Joerges, Alex Stock und Cornelis Kok.

Oosterhuis geht wie immer von der Heiligen Schrift aus, diesmal vor allem von den Büchern Genesis und Exodus, den Psalmen, Jesaja und dem Lukasevangelium. Aber auch Augustinus oder Martin Buber sind ihm wichtig. Oosterhuis greift auf und spinnt weiter. Die Bilder und Metaphern sind „eigentlich“ bekannt, aber oft verschüttet. Deswegen löst seine Dichtung Aha- und Déjà-vu-Erlebnisse aus. Das Suchen, Fragen, Zweifeln, Bitten, Schreien findet Platz. Und es findet Antworten. Aber keine aufgestülpten, sondern solche, die einladen. Bewegend etwa die Vaterunser-Variationen: „Gib uns Brot der Gnade/morgen, heute noch./Trag unsre Schuld ab./Lehr uns vergeben./Mache uns Mut,/geh du mit uns/auf dem Weg des Lebens.“ Oder: „Mir geschehe dein Wort,/Brot, Gnade, Tröstung//Es komme dein Reich,/Augenblick des Friedens“.

Nein, es ist nicht zu hoch gegriffen, dass Huub Oosterhuis mit Dichtern wie Friedrich Spee oder Gerard Manley Hopkins verglichen wurde. In seinen Texten wird man gleichsam an der Hand genommen und in die Welt der biblischen Sprache gelockt. Aus dem früheren Buch „Alles für alle. Ein Glaubensbuch für das 21. Jahrhundert“ (2018) sind dafür elf kurze Abschnitte zur Frage „Was ist beten?“ nachgedruckt. Sie werben für die Bildersprache der Bibel, die zeitlos „modern“ ist und bleibt: „Lerne fragen, flehen, drängen, ans Fenster klopfen. Lerne beten. Verlange. Sei nicht matt, gelassen, vage, sei heftig, bewegt, wachsam, anrührbar.“

Die Sammlung ist keine „Betriebsanleitung“ für richtiges Beten. Huub Oosterhuis zwingt auch nicht in seine eigene Sprache hinein, sondern höchstens in die der Bibel. Auch das macht seine Texte glaubwürdig: „Beten heißt also nicht, um dieses und jenes zu bitten? Wozu auch, wenn Gott ja nicht eingreift? Nein, er greift nicht ein; aber er wirkt auf dich ein, wenn du dich auf seinen Heiligen Geist ausrichtest, deine Sinne auf seine Tora lenkst – seine Worte werden dich erneuern.“ Das sind keine leeren Versprechungen, keine theologischen Blankoschecks. Oosterhuis überzeugt, weil er selbst überzeugt ist.

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Oosterhuis, Huub

du, nur du, immer du. Gebete. Hg. von Cornelis Kok

Patmos Verlag, Ostfildern 2020, 93 S., 10 €

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