Es ist noch kein Jahr her, da waren die Zeitungen und Bildschirme voll von Bildern einer brennenden Kathedrale. Notre-Dame in Paris stand in Flammen und wurde für manchen zum traurigen Symbol der ganzen Kirche. Eine Institution in kritischem Zustand und mit ungewisser Zukunft, die schnelle Hilfe braucht. Heute beherrscht das Corona-Virus die Schlagzeilen, Notre-Dame scheint vergessen. Aber vielleicht kann die Kathedrale auch weiterhin ein Zeichen für größere Entwicklungen sein. Denn wie die Kirche im Ganzen unter der Pandemie leidet, wenn Gottesdienste ausfallen, ist auch Notre-Dame sehr direkt von der Krise betroffen. Die Bauarbeiten sind zum Erliegen gekommen, zu groß ist die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken. Die einst so stolze Kathedrale bleibt auf absehbare Zeit eine Baustelle.
Der Baustopp kommt höchst ungelegen. Wie die „Badische Zeitung“ berichtet, sollte gerade das Metallgerüst auf dem Dach der Kathedrale demontiert werden. Die tonnenschwere Konstruktion lastet weiterhin auf dem Gewölbe und könnte noch immer alles zum Einsturz bringen. Dabei ist es noch nicht so lange her, dass Hunderte, oft selbst ernannte, Fachleute ganz genau wussten, wie Notre-Dame zu retten ist – und wie sie in Zukunft aussehen soll. Ihre Vorschläge klangen auch wieder verdächtig nach dem Richtungsstreit der Kirche im Großen. Während die einen keinen Stein auf dem anderen lassen und die alte Kathedrale mit immer ausgefalleneren Entwürfen ins 21. Jahrhundert bringen wollten, wünschten sich andere, Notre-Dame würde wieder exakt so aufgebaut wie sie jahrhundertelang gestanden hatte.
Jetzt macht Corona beiden Parteien einen Strich durch die Rechnung. Auch in der deutschen Kirche müssen viele Baustellen wohl erst mal ruhen. „Maria 2.0“-Demos und Gegendemos scheitern an der Ausgangsbeschränkung. Und ob die Versammlungen des „synodalen Wegs“ mit ihren Hunderten Teilnehmern auch als Video-Konferenz funktionieren, darf bezweifelt werden. Während die aufgeworfenen Fragen noch immer schwer auf der Kirche lasten, zwingt das Virus zu einer Verschnaufpause. Nicht alle allerdings – es gibt auch immer solche, die Krisen für sich nutzen wollen. Im Fall von Notre-Dame sind das Diebe, die Steine aus der Ruine stehlen. Die weltweite Kirche trägt andere Schäden davon, etwa wenn das Corona-Virus als Strafe Gottes gedeutet wird, wie es zuletzt der Churer Weihbischof Marian Eleganti versuchte. Oder wenn Bischöfe sich anmaßen, ihr Kirchenvolk während einer Epidemiewarnung huldvoll von der Sonntagspflicht zu entbinden. Das Baugelände in Paris wird jetzt rund um die Uhr überwacht. Genauso wichtig ist es aber, die innerkirchlichen Baustellen im Gedächtnis zu behalten. Damit ein starkes Fundament stehen bleibt, bis die Gefahr vorbei ist und der Bau weitergehen kann.