Längst ist Corona nicht besiegt. Doch es steht bereits die Frage im Raum, ob die Gesellschaft Lehren aus der Pandemie ziehen kann und wie diese lauten sollten. „Das Coronavirus ist nicht das Ende der Welt. Aber vielleicht das Ende der Welt, wie wir sie bisher kannten“, überlegt der Jounalist Milosz Matuschek in der „Neuen Zürcher Zeitung“. Die Krise sei ein Moment der Wahrheit. „Sie wird uns in den nächsten Wochen vor Augen führen, was funktioniert und was nicht. Sie wird uns zeigen, wie dick die Decke der Zivilisation ist und wie solide Institutionen, Logistik und Finanzsystem aufgestellt sind. Und sie kann dabei Geburtshelferin des Neuen sein … Ganz neue Formen der Organisation des Alltags können jetzt erprobt werden.“
Noch weiter geht der Journalist Bernd Ulrich. Aus seiner Sicht ruft Corona den Wert der sozialen Gerechtigkeit neu in Erinnerung. In der „Zeit“ formuliert er: „Dass sich die einen mehr nehmen als die anderen, nennt man in diesen Tagen ‚hamstern‘, und es ist verpönt. Dass sich die einen mehr nehmen als die anderen, nennt man sonst Marktwirtschaft, und es ist heilig.“
Auch Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des Entwicklungshilfswerks Misereor, das in diesen Tagen der ausfallenden Gottesdienste sowie der üblichen Kollekte am fünften Fastensonntag dringlich um Spenden-Überweisung bittet, ordnet die Pandemie umfassend ein. Die Corona-Krise „demaskiert … unser unnachhaltiges, prekäres globales Wirtschaftssystem, welches den fortschreitenden Tod der Natur und das Sterben tausender Menschen, sei es durch Kriege, unzureichende Gesundheits- und Versorgungssysteme oder gefährliche Fluchtwege, in gewisser Weise normalisiert hat“, schreibt Spiegel auf „blog.misereor.de“. Der „gegenwärtige Stillstand der globalisierten Mobilität“ und die „radikale Veränderung unserer Gewohnheiten angesichts der so nahen Bedrohung lassen die Erde aufatmen und zeigen uns, dass es möglich ist, eine scheinbare Alternativlosigkeit unseres Systems zu unterbrechen“.
Geradezu existenziell äußert sich der Psychologe Arno Deister. „Wenn wir in zwei Jahren zurückblicken, werden wir sagen, dass sich unser Leben durch Corona grundlegend geändert hat“, erklärt er im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. „Die Dinge haben plötzlich eine andere Bedeutung bekommen, und die Sinnfragen werden anders gestellt. Auch weil wir feststellen, dass wir auf vieles verzichten können … Wir sind an einem Punkt, an dem wir anfangen, unser Leben neu zu bewerten: den einen Dingen ihren Wert zu geben und anderen eben nicht mehr … Wenn ich Isolation so erlebe, dass ich ganz nah bei mir bin und mich mit mir auseinandersetzen muss, kann das zu großer Energie führen.“