Wegen anderer, größerer Probleme, die hiesige Gesellschaften momentan beunruhigen, wurde es in den Nachrichten nur nebenbei gemeldet: In Indien sind vier Männer hingerichtet worden, die vor sieben Jahren gemeinsam eine Studentin bestialisch vergewaltigt hatten, die an den Folgen starb. Über das Verbrechen war damals auch in den westlichen Medien – ganz besonders ausführlich und breit – berichtet worden. Die öffentliche und veröffentlichte Empörung über die schreckliche Tat und über viele weitere ähnliche kriminelle Angriffe auf Frauen in Indien begleitete uns tagelang. Vor allem Frauenrechtsgruppierungen und Menschenrechtsorganisationen, aber auch sonstige Demonstranten bekundeten tiefste Abscheu.
Angesichts der Hinrichtung – das Urteil wurde durch Hängen vollstreckt – blieb es nun in unserer Weltgegend erstaunlich still. Während sonst verschiedenste Polit-Aktivisten gegen den menschenunwürdigen, inhumanen Vollzug der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten von Amerika ausgiebig ihre Stimme erheben und von der Washingtoner Regierung verlangen, diese grausame Art der Vergeltung, der „Abschreckung“ und Kriminalitätsbekämpfung zu beenden, hat sich im aktuellen Fall die Perspektive anscheinend verschoben. Unter dem Eindruck vielfacher Gewalt gegen Frauen und Unterdrückung von Frauen sowie angesichts einer nach wie vor unvollendeten Gleichberechtigung wird in aufgeklärten Gesellschaften diese Art Gerechtigkeitsmangel als besonders schwerwiegend, ja bedrückend empfunden. Daher scheint das untergründige Empfinden dahin zu tendieren, eine besonders harte Bestrafung der Täter gegen Frauen als nur gerecht zu empfinden. Also auch die Verhängung der Todesstrafe und deren Anwendung? Zweierlei Todesstrafe, zweierlei Maß.
Jedenfalls regte sich diesmal so gut wie kein medialer oder sonstiger öffentlicher Protest „von unten“ gegen die Hinrichtung der vier Männer. Eher Genugtuung, dass diesmal ein klares Zeichen gesetzt wurde? Indiens hindunationalistischer Premierminister Narendra Modi erklärte auf Twitter, die Gerechtigkeit habe gesiegt. „Es ist von größter Bedeutung, die Sicherheit und Würde von Frauen zu schützen.“
Immerhin bezogen Amnesty International und der Internationale Gerichtshof in Den Haag Stellung gegen die Hinrichtung. Amnesty International sprach von einem „dunklen Fleck“ in Indiens Menschenrechts-Bilanz. „Zu oft benutzen Parlamentarier die Todesstrafe als ein Symbol dafür, wie gut sie Verbrechen bekämpfen.“ Der Internationale Gerichtshof zitierte die bekannte indische Anwältin Vrinda Grover, die die Abschreckungswirkung der Todesstrafe auf Vergewaltiger bezweifelt. Obwohl seit 2013 die Todesstrafe bei Vergewaltigung verhängt werden könne, habe sich die Zahl der Vergewaltigungen in Indien nicht verringert.