Ich trat ins Kloster ein, obwohl ich wusste, dass dieser Stand Dinge mit sich brachte, die meinem Charakter widersprechen mussten. Ich glaubte, mir entfliehen zu können, aber ich Armselige brachte mich selbst mit und mit mir meinen ärgsten Feind, diese Leidenschaft, von der ich nicht weiß, ob sie ein Geschenk oder eine Strafe des Himmels ist.“ Die Leidenschaft, von der Sor Juana Ines de la Cruz hier rückblickend schrieb, war – das Wissen.
Geboren am 12. November 1648 in San Miguel Nepantla in Zentralmexiko (damals Neu-Spanien), war Juana eins von mehreren unehelichen Kindern ihrer Mutter. Junge Frauen hatten damals eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder zu heiraten und Kinder zu bekommen oder aber ins Kloster zu gehen. Letzteres war eine bevorzugte Option für begabte Mädchen und Frauen, vorausgesetzt ihre Familie verfügte über die finanziellen Möglichkeiten, sie in ein Kloster einzukaufen.
Eine vorteilhafte Ehe war nicht Juanas persönliches Lebensziel. Nach einem visionären Traum trat sie 1669 in ein Kloster der Hieronymitinnen ein. Dort verfügte sie über eine große, gut ausgestattete Zelle sowie als „Geschenk“ ihrer Mutter eine Sklavin, die sie versorgte. Im Kloster konnte Schwester Juana ihren breiten literarischen und wissenschaftlichen Interessen nachgehen, also genau das Leben führen, das sie sich gewünscht hatte. In ihrer Zelle hatte sie eine Bibliothek, Musikinstrumente und sogar eine Ausstattung für naturwissenschaftliche Experimente zur Hand, es fehlte ihr an nichts.
Wenn sie in ihrem Gedicht zu Ehren der heiligen Katharina schreibt: „Sie forscht, diskutiert und lehrt, tätig im Dienste der Kirche, weil er, der ihr den Verstand gab, nicht will, dass sie nichts erkenne. Triumph, Triumph!“, dann klingt das wie eine Beschreibung ihres eigenen Lebens – freilich vor dem Konflikt mit der Kirche. Denn als sie sich mit Kritik an einer Predigt des einflussreichen portugiesischen Jesuiten António Vieira zu weit aus dem Fenster lehnte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit der Kirchenhierarchie, die sie letztlich verlor. In ihrer Schrift „Antwort an Schwester Philothea de la Cruz“ verteidigte sie das Recht von Frauen auf Bildung, doch vergebens. Am 5. März 1694 unterschrieb sie mit ihrem eigenen Blut das Gelöbnis, sich der Kirche zu unterwerfen. Danach wurde ihre Bibliothek aufgelöst und der Erlös wurde für die Armen verwendet. Monate später, am 17. April 1695, starb sie an der Pest, als eine gebrochene Persönlichkeit.
Der mexikanische Schriftsteller Octavio Paz (1914–1998) veröffentlichte Anfang der achtziger Jahre den Roman „Sor Juana Ines de la Cruz oder die Fallstricke des Glaubens“, der 1991 auf Deutsch erschien (besprochen in CIG Nr. 19/1992). Er sah in ihr eine Melancholikerin, eine platonisch verliebte Nonne und Dichterin. Unter dem Titel „Ich, die Unwürdigste von allen“ wurde der Roman 1990 verfilmt, das mexikanische Fernsehen brachte 2016 eine Serie heraus, die später bei „Netflix“ zu sehen war. In der Serie hat sie eine Liebesbeziehung mit der Ehefrau des Vizekönigs, Maria Luisa de Padera, für die sie Gedichte schrieb. Ob diese Beziehung platonisch war oder nicht, bleibt im Dunkel der Geschichte. Sor Juana Ines de la Cruz ist jedenfalls, nachdem sie über Jahrhunderte vergessen war, heute unverhandelbarer Teil der mexikanischen Identität. Ihr Geburtsort wurde ihr zu Ehren in Nepantla de Sor Juana Ines de la Cruz umbenannt.