Dass der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber (1869–1952) die Zuwanderung von Flüchtlingen aus den ehemaligen Ostgebieten nach Bayern in den frühen Nachkriegsjahren kritisch sah, ist bekannt. Neu veröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1947 belegen jetzt, dass der Erzbischof dabei nicht nur Wohnungsnot in den weitgehend kriegszerstörten Großstädten verhindern wollte. Er fürchtete auch die Auflösung der bis dahin recht geschlossenen konfessionellen Milieus, wenn sich evangelische Schlesier oder Ostpreußen im katholischen Oberbayern niederließen. Daneben misstraute er der „Tanzwut der Flüchtlingsjugend“.
Welche unkonventionelle Strategie Faulhaber erwog, um der Lage Herr zu werden, zeigt der Eintrag über ein Treffen mit dem früheren Reichskanzler Hans Luther im September 1947. Beide waren sich einig, eine „geschlossene Auswanderung der Flüchtlinge ins Ausland, Canada zunächst – unter kirchlicher Führung“ sei die beste Lösung. „Wenn es keine Beförderung von Soldaten und Munition mehr brauche, werden die Schiffsmänner froh sein, Menschenfracht zu haben“, heißt es in den Aufzeichnungen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten galt Kanada wegen den härteren Lebensbedingungen lange nicht als attraktives Einwanderungsland. Trotzdem siedelten in den Nachkriegsjahren zahlreiche Ostgebietsflüchtlinge und Vertriebene über.
Daneben war das Jahr 1947 für Faulhaber vom immer angespannteren Verhältnis zur amerikanischen Besatzungsmacht geprägt. Die wollte nicht nur staatliche Vergünstigungen für die katholische Kirche rückgängig machen, sondern störte sich vor allem an der Menge an „Persilscheinen“, mit denen kirchliche Würdenträger die Politik der Entnazifizierung unterliefen. Außerdem gab es eine neue Welle von Antisemitismus, die auch Faulhaber beobachtete: „Der Antisemitismus im Wachsen … Früher waren die Juden am Kriege schuld, jetzt an der Hungersnot.“ Neu digitalisierte Abschnitte der Tagebücher werden jahrgangsweise online gestellt.