Nun weiß ich doch, ’s ist Frühling wieder.
Ich sah es nicht vor so viel Nacht
und lange hatt’ ich’s nicht gedacht.
Nun merk’ ich erst, schon blüht der Flieder.
Wie fand ich das Geheimnis wieder?
Man hatte mich darum gebracht.
Was hat die Welt aus uns gemacht!
Ich dreh’ mich um, da blüht ein Flieder.
Und danke Gott, er schuf mich wieder,
indem er wiederschuf die Pracht.
Sie anzuschauen aufgewacht,
so bleib’ ich stehn. Noch blüht der Flieder.
Am Ende des Ersten Weltkriegs hat Karl Kraus dieses Gedicht geschrieben. Es ist wie eine große Verwunderung: Wir hatten alle Hoffnung aufgegeben, zu schrecklich waren diese Jahre, die Zuversicht hatte einen schweren Stand. Und dann war es wie ein plötzliches Staunen: Der Flieder ist wieder da, er ist wiedergekommen, obwohl wir nicht damit rechnen konnten.
Die Welt hatte sich verdunkelt, sie war zu einem Reich der Finsternis geworden, man hatte uns den Hass gepredigt. Und nun erleben wir plötzlich so etwas wie eine neue Geburt, Gott hat uns neue Augen geschenkt, um den Flieder wieder sehen zu können.
Dreimal wird der Flieder gewissermaßen angerufen. Er ist das Zeichen, dass eine neue Zeit angebrochen ist, eine neue Ära, die uns verpflichtet, die Augen offen zu halten, damit nicht eine neue Verfinsterung einbricht.