Das Lukasevangelium (46)Spielball der Mächtigen

„Als aber Pilatus das hörte, fragte er, ob der Mensch Galiläer sei, und nachdem er erfahren hatte, dass er aus dem Herrschaftsgebiet des Herodes sei, schickte er ihn zu Herodes zurück, weil auch er in diesen Tagen in Jerusalem war. Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr. Er hegte nämlich seit geraumer Zeit den Wunsch, ihn zu sehen, weil er von ihm gehört hatte, und er hoffte, ein Zeichen zu sehen, das von ihm gewirkt würde. Er befragte ihn aber mit vielen Worten, er aber antwortete ihm nichts. Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten aber standen dabei und klagten ihn heftig an. Nachdem ihn aber auch Herodes zusammen mit seinen Soldaten verspottet und sein Spiel mit ihm getrieben hatte, indem er ihm ein Prunkgewand umgeworfen hatte, schickte er ihn Pilatus zurück. Herodes und Pilatus aber wurden am selbigen Tag miteinander befreundet; davor waren sie nämlich in Feindschaft zueinander gewesen“ (Lk 23,6–12).

Die Begegnung Jesu mit Herodes Antipas, dem Sohn Herodes’ des Großen und Fürsten von Galiläa, ist im Lukasevangelium von langer Hand vorbereitet (vgl. Lk 9,7–9; 13,31). Bei der Leserschaft löst sie gemischte Gefühle aus und lässt die Spannung steigen. Denn einerseits hat sie schon früher vom Wunsch des Herodes erfahren, Jesus einmal zu Gesicht zu bekommen. Daraus schienen Bewunderung, zumindest aber Staunen und Neugier zu sprechen. Andererseits hat sie mitbekommen, wie einige Pharisäer Jesus vor den angeblichen Mordabsichten des Herodes warnten. Die Nähe Jesu zu Johannes dem Täufer, den Herodes hatte enthaupten lassen und für dessen auferstandene Gestalt manche Leute Jesus hielten, konnte diesem durchaus gefährlich werden. Jedenfalls ist Herodes weit davon entfernt, dass das Wort Gottes, das Jesus verkündet, bei ihm auf fruchtbaren Boden fällt und zum gläubigen Vertrauen auf Gottes Hilfe führt (vgl. Lk 8). Für ihn ist Jesus bestenfalls ein wundertätiger Scharlatan, der mit einer seiner Zirkusnummern für Unterhaltung bei Hofe sorgen könnte.

So wird Jesus zum Spielball der Mächtigen, die als Richter zu Komplizen in einem Schmierenprozess gegen ihn werden. Es beginnt damit, dass einer die Verantwortung dem anderen zuschiebt, anstatt sie selbst zu übernehmen. Pilatus weiß genau, dass Herodes in Jerusalem keinerlei Amtsgewalt besitzt. Trotzdem will er den lästigen Fall loswerden, indem er den Galiläer Jesus seinem Landesherrn Herodes zurückschickt. In Anbetracht ihres feindseligen Verhältnisses wird man darin wohl eine Gehässigkeit des römischen Präfekten gegenüber dem jüdischen Klientelfürsten sehen dürfen.

Herodes verhält sich indes kaum besser, indem er den Angeklagten bereits wie einen Verurteilten behandelt und zusammen mit den Soldaten seinen Spott mit ihm treibt. Jesu Schweigen lässt sich wohl so deuten, dass die wortreiche Befragung durch Herodes nur ein abgeschmacktes Spiel ist, bei dem es nicht um Wahrheitsfindung geht. So führt die Episode vor allem die Charakterlosigkeit der beiden Machthaber vor Augen, deren Freundschaft nur auf Kosten eines willkommenen Opfers gedeiht. Nach Aristoteles sind die guten Menschen um ihrer selbst willen befreundet, während die schlechten in der Freundschaft nur Nutzen suchen. Durch ihr Verhalten werden Pilatus und Herodes als schlechte Charaktere gezeichnet, die erst durch ihr zynisches Spiel mit einem schwächeren Dritten zueinander finden.

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