Frei werden wir von einer größeren Wirklichkeit her, die nicht nur mich, sondern alle Menschen umfängt und durchdringt und die wir mit dem vielfach missbrauchten Namen „Gott“ bezeichnen. Und von ihm her und letztlich allein ihm verpflichtet werden wir frei für die Menschen … Es gilt, im Alltag, im Blick auf das Gottesreich nach Gottes Willen zu leben zu versuchen und das Wohl des Nächsten, der uns gerade braucht, im Auge zu behalten: ihn nicht beherrschen wollen, sondern ihm, soviel wir eben können, zu dienen. Güte praktizieren und verzeihen. Nicht nur, wie es ein Weltethos verlangt, das Einhalten elementarer Pflichten der Menschlichkeit, nicht morden, lügen, stehlen, Sexualität missbrauchen. Sondern, wozu uns die Bergpredigt einlädt, statt nur die pflichtmäßige „eine Meile“ zu gehen, gegebenenfalls „zwei Meilen“.
Hans Küng, Vortrag auf dem Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin, in: Sämtliche Werke, Band 16 (Verlag Herder, Freiburg 2018)