Negative TheologieWissende Unwissenheit

Unsere Bilder und theologischen Begriffe von Gott greifen zu kurz. Das kann gar nicht anders sein. Genau hier setzt die „negative Theologie“ an. Das bedeutet freilich nicht, dass sie nichts oder nur Belangloses zu sagen hätte.

In seinem lesenswerten Beitrag „Was ich glaube, wenn ich bete“ (CIG Nr. 14, S. 157) versucht Magnus Striet, die „Grenzen negativer Theologie“ aufzuzeigen, die doch heute von zahlreichen Theologen bevorzugt wird. Striet schreibt dazu: „Ein Gott, von dem nichts zu sagen ist, tröstet auch nicht. Gott wird immer auch Geheimnis bleiben. Aber: Wenn von ihm nichts Bestimmtes mehr zu sagen ist, ist er menschlich belanglos.“

Genau diese Unterscheidung ist wichtig: „Negative Theologie“ hat durchaus etwas von Gott zu sagen. Allerdings tatsächlich nichts „Bestimmtes“. Das würde nämlich bedeuten, Gott festschreiben, definieren zu können. In dem Fall würde man sich womöglich einbilden, das – wie Karl Rahner sagte – „heilige Geheimnis“, das Gott umgibt, zu lüften. „Gott“ würde menschlichem Denken verfügbar gemacht. Er wäre in gewisser Weise „ein Gebild von Menschenhand“.

„Negative Theologie“ setzt dort an, wo die Erfahrung der Leere, des Fehlens und Vermissens jede Behauptung der Gegenwart Gottes dementiert. Denn was bleibt letztlich von den „positiven“ Katechismus-Aussagen über Gott, etwa dass er die Wahrheit, die Weisheit, der Allmächtige ist? Ist das eine Antwort auf Auschwitz, auf die Katastrophe des Tsunami von 2004 mit etwa 230000 Toten, auf die Corona-Pandemie von heute? Gott ist die Liebe – kann das die Mutter eines krebskranken sterbenden Kindes trösten? Ist nicht eine Rede von Gott ehrlicher und letztlich „bestimmter“, die offen eingesteht: Gott ist nicht zu fassen, nicht zu bestimmen. Er übersteigt jedes menschliche Fassungsvermögen. Er ist unbegreiflich, er kann mit keinem „Be-Griff“ angemessen umschrieben oder benannt werden (vgl. die im Letzten geheimnisvolle Selbstoffenbarung Gottes vor Mose im Buch Exodus 3,13–15).

„Negative Theologie“ versucht, all das loszuwerden, woran bisher der Glaube hing. Herkömmliche Rede von Gott in vermenschlichten Bildern oder abstrakten Begriffen kann allenfalls „vorletzte“ Rede sein. Die eigentliche und „letzte“ Rede ist die des Verstummens vor dem Unbegreiflichen, die des ehrfurchtsvollen Schweigens vor dem „Großen Unbekannten“. „Nur mit leeren Händen können Menschen nach jener Wirklichkeit greifen, von der sie hoffen, dass sie ihrerseits von ihr ergriffen werden“, schreibt zutreffend der Kölner Theologe Hans-Joachim Höhn.

„Negative Theologie“ gründet auf dem „Grundgesetz für alle theologischen Vergleiche zwischen Schöpfer und Geschöpf“, das vom Vierten Laterankonzil (1215) formuliert wurde: „Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ Wenige Jahre später griff Thomas von Aquin (1225–1274) diesen Satz auf und bezeichnete die Unerkennbarkeit Gottes als die eigentliche, die letzte Erkenntnis Gottes: „Das ist das Letzte menschlicher Erkenntnis über Gott, dass man erkennt, dass man Gott nicht kennt.“ Diese wissende Unwissenheit komme erst „am Ende unserer Erkenntnis“. Erst dann erkennen wir Gott „als den Unbekannten“.

Wissende Unwissenheit über Gott ist somit die „erhabenste“ und „kraftvollste“ Erkenntnis. Auch der rund hundert Jahre später lebende Mystiker Meister Eckhart (etwa 1260–1328) betont in seinen Schriften immer wieder, dass der Gottsucher sich „leer“ machen muss von aller theologischen Begrifflichkeit, ja dass er seines eigenen Gottes – als Denkvorstellung – „quitt“ werden muss. „Alle jene Bilder und Vorstellungen sind der Balken in deinem Auge. Drum wirf sie hinaus. Ja selbst deines gedachten Gottes sollst du quitt werden, aller deiner doch so unzulänglichen Gedanken und Vorstellungen über ihn wie: Gott ist gut, ist weise, ist gerecht, ist unendlich. Gott ist nicht gut, ich bin besser als Gott; Gott ist nicht weise, ich bin besser als er, und Gott ein Sein zu nennen ist so unsinnig, wie wenn ich die Sonne bleich oder schwarz nennen wollte … Alles was du da über deinen Gott denkst und sagst, das bist du mehr selber als er.“

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